Alles, was ihr neuer Freund sagte. Tief erröthend und nachdenklich schritt sie an seiner Seite dahin.
„Sie sind sehr gütig, Herr Garstone," sagte sie nach langem Schweigen, „daß Sie sich die Mühe geben, mir das Alles zu sagen. O, daß Edgar in derselben Weise zu mir geredet hätte! — Aber," setzte sie mit einem Seufzer hinzu, geben Sie diesen Brief zur Post, — es ist der letzte."^
Er that, was sie wünschte, aber dehnte seinen Ritt weit über das Dorf hinaus, in welchem das Postamt war, — er ritt hinüber nach der Meeresküste, besuchte einige ihm bekannte Leute, deren Ur- theil er trauen konnte, und zog Erkundigungen über den jungen Fischer ein. Was ec hörte, sprach sehr entschieden zu dem Lobe desselben.
Am anderen Tage kam Fräulein Edith Winter nach Chcvala, und Garstone's Denken und Fühlen wurde in ganz anderer, rein persönlicher Weise in Anspruch genommen. Hoffnungen und Furcht fluteten in seinem Herzen ab und zu.
Fünftes Kapitel.
Eifersucht.
Nach etwa acht Tagen trat eine große Veränderung des Wetters ein. Bis dahin war eS ruhig, sonnig, heiter gewesen. Nun kam ein gewaltiger Sturmwind von der Küste her; er brauste über die bewaldeten Höhen und machte sich selbst in dem Thale von Chevala unangenehm bemerkbar.
Als Nebecka in der Dämmerung in dem Bogenfenster des bereits in Halbdunkel gehüllten Wohnzimmers saß und das Brausen des Windes betrachtete, als sie sah, wie die Kronen der hohen Bäume sich unter der Wucht des Sturmes beugten, als sie das Aechzen der Zweige vernahm und das Klirren der Fensterscheiben, da glaubte sie fast, daß der äußere Sturm auch die Unruhe ihres Gemüthes hcrvor- iringe.
Sie sehnte sich fort von Thevala, sehnte sich nach dem Meere und der Felsenbucht und dem Moor- landc, nach dem ganzen wilden Leben vergangener Tage, und sie sehnte sich nach Willy Fortown, der zu dem Allen gehörte, wie der belebende Geist zu dem Körper. Sie spottete über den Traum, den sie geträumt und der ihr so köstlich erschienen, spottete über da» ganze verfeinerte luxuriöse Leben, in daS sie verfallen war.
Sic hatte Edith Winter beobachtet, und diese Beobachtung hatte sie Manches gelehrt. Edith war acht Tage in Chevala gewesen. Täglich am frühen Morgen und in der einbrechcnden Abenddämmerung war sie an Herbert's Seite auf der Terrasse oder in dem Bosquett gewesen. Rebecka hatte beide von ihrem Zimmerfenster aus gesehen, und es war ihr nicht entgangen, wie glücklich sie ausgesehcn.
(Fortsetzung folgt.)
Zur Philosophie des Krieges.
Legrand du Saulle, einer der hervorragendsten Irrenärzte Frankreichs, hat seine Erfahrungen über den geistigen Zustand der Pariser Bevölkerung während der Ereignisse von 1870—71 in mehreren hochinteressanten Artikeln in der „Gazette deS Hopi- taux" niedergelegt. Wir fassen diese düstere Scizze — ein wissenschaftliches Appendix zu Victor Hugo's terridls" — nach einem Auszuge in den Schmidt'schen Jahrbüchern in dem Folgenden zusammen :
I) Das Unglück von Sedan und der Marsch ? der Deutschen auf Paris versetzte die Bevölkerung des Seine-Departements extra muros in die tiefste Bestürzung. Die Familien, ihrer in den Krieg gezogenen natürlichen Beschützer so schon beraubt, überlassen sich den extremsten Entschlüssen und glauben die absurdesten Gerüchte über die Barbarei der Deutschen.
In zwei oder drei Tagen versuchen die Umwohner von Paris ihre Werthfachen und Vorräthc zu vergraben, suchen die verborgensten Winkel, graben sie wieder aus und verstecken sie au einem neuen Fleck, bis sie zuletzt sich der Verstecke nicht mehr i erinnern.
Die Verwirrung der Geister hat ihren Höhepunkt erreicht. Die Einen sind schweigsam, kalt, restgnirt, die meisten Anderen von Schmerz außer sich, schreien, fluchen und vermögen zuletzt nicht mehr die geringste Vorbereitung zu treffen; die Einen weinen, beklagen sich, verfluchen ihr Leben, stets dieselben Worte wiederholend, wünschen sich den Tod, die Anderen zittern, fürchten sich vor Allem, sind fahrig, und, wahre Opfer von Sinncs-Jllustoncn, hören sie Geräusch von Pfcrdegetrappel, das Anschlägen der Sturmglocke, die Signale der feindlichen Avantgarde. AuS Furcht, gefangen und sofort erschossen zu werden, verbergen sie sich üi irgend einen dunkeln Winkel. In dieser Zeit beobachtet man einige Fälle akuten Selbstmordes.
Von den ersten Tagen des August an bis zum 15. September nahm die Zahl der von Geistesstörung befallenen oder derselben verdächtigen Personen auf dem Depot der Präfektur ab. (In diesem wurden nämlich die innerhalb je 24 Stunden aufgegriffenen nerven- oder geisteskranken Individuen einstweilen bewahrt, bis sie von einem hierzu bestellten Spezialarzt untersucht und je nachdem einer der Irrenanstalten u. s. w. zugeführt wurden. Hier machte Legrand seine Beobachtungen.)
Die Bevölkerung machte alle Phasen der Furcht und Angst durch, die Polizeikommissärc aber konnten weniger Zeit auf die Aufsuchung solcher Kranken verwenden und verschoben die weniger dringenden Fälle — die ausgehobene junge Mannschaft marschirt ab, die Geschäfte hören mit einem Schlage auf — die „Jrrenklinik" nimmt jetzt eine andere Physiognomie an. Man erhält jetzt z. B. an akutem Al- cohol-Delirium Leidende im Alter von 17—22 Jahren,