Seite 2
Monatsblätter des Taunus-Klubs.
Nr. 1
Meujahrskied 1914.
Seinen lieben Taunusbrüdern.
Mit Sorgen geht das Jahr zur Ruh,
Oft war's umbraust vom Sturme.
Jetzt künden uns die neue Zeit Die Glocken von dem Turme.
In froher Rund' der Becher klingt,
Von Kummer frei die Menschheit singt:
„Nun muß es besser werden!"
Du Tor! — die eisern strenge Zeit Geht stetig ihre Schritte;
Sie bringt alljährlich Freud' und Leid Fühllos in unsre Mitte.
In dir allein, o Menschenkind,
Die Wunderkräft' vorhanden sind,
Daß es soll besser werden.
Laß Dir die Glocken Mahnung sein,
Zu rasten nicht und schlafen;
Nach höchstem Gut ring' immerdar,
Ob Wetter Dich auch trafen!
Die Arbeit sei Dein Weggenoß,
Die forträumt, was Dich je verdroß,
Dann wird es besser werden.
Dann schwingst Du Dich zur Freiheit auf, Die beut den Seelenfrieden.
Mit kühnem Mut machst Du den Lauf,
Was immer auch beschieden.
Dann leuchtet auf Dir, licht und klar,
Die Hoffnung, tröstend wunderbar:
„Nun wird es besser werden!"
Doch nicht allein Du wandern sollst Durch Deines Lebens Enge.
Die Freundschaft geht zur Seite Dir Und singt Dir Trostgesänge.
Vereint — wie trägt sich leicht das Leid! So laßt's uns halten alle Zeit,
Dann wird es besser werden.
Doch drückt das Dasein Dich zu schwer,
Dann denk' des Quells, des reinen,
Der fortspült aller Sorgen Heer,
Des Glückes Sonn' läßt scheinen: Trosteinsamkeit in Dir, Natur,
Die weist so gern die rechte Spur,
Daß es soll besser werden. K. Schmidt.
ßin Sonnenaufgang öei Schnee und Gis von der Hohen Kanzet öei Miedernhausen
oder ein Wintervergnügen für Frühaufsteher von A. Lips.
Jeder, der diese Ueberschrist liest, wird Wohl zunächst darüber stutzig werden, daß hier von einem Sonnenaufgang von der Hohen Kanzel berichtet wird, während doch der Feldberg, der zirka 300 Meter höher ist, besser dafür geeignet sein dürfte.
Diese Meinung trifft allerdings zu, aber nur für die Sommerszeit; für die Winterszeit stellt sich das Vergnügen für die Hohe Kanzel günstiger. Ich gedenke im Nachstehenden diese Ansicht genügend begründen zu können. Ein Sonnenaufgang vom Feldberggipfel kann doch nur gesehen werden, wenn man schon am Tage vorher den Aufstieg unternimmt und oben auf dem Gipfel in einem der Gasthäuser übernachtet, oder wenn man die Nacht hinaussteigt, indem man sich so einrichtet, daß man bei Anbruch des Tages oben ist. Bei dem ersten Verfahren wird das Vergnügen erheblich verteuert, im zweiten Falle ist es doch nicht jedermanns Sache, bei Schnee und Eis in der Nacht auf den Feldberg zu steigen. Tritt dann noch in beiden Fällen das Mißgeschick hinzu, daß keine Aussicht für den Sonnenaufgang
vorhanden ist, dann ist es im Winter erst recht unangenehm. Anders gestaltet sich dagegen das Vergnügen bei einem Sonnen- - !
ausgang von der Hohen Kanzel. !
Der erste Zug nach Limburg fährt hier in Frankfurt um !
5 Uhr 1 Min. ab und trifft in Niedernhausen um 6 Uhr 10 Min. ein. Der Aufstieg zur Hohen Kanzel erfordert 1?/i bis Iff» >
Stunden. Der Sonnenaufgang in der ersten Hälfte Dezember !
und in der zweiten Hälfte des Januar tritt durchschnittlich gegen 1
7^4 Uhr ein; in der zweiten Hälfte des Dezember und in der !
ersten des Januar gar erst gegen 8 Uhr. Folglich hat man in -
Niedernhausen im ersten Falle noch 5 Minuten und im zweiten ! i Falle noch 20 Minuten Zeit übrig. Die Hauptsache aber bei dem ganzen Vorschläge ist die Annehmlichkeit, daß man am Tage ! der Tour, ehe man zur Bahn geht, erst das Wetter studieren >
kann. Dies alles hatte ich in Betracht gezogen, als ich vor r
einigen Jahren, Mitte Januar, bei etwa 6 Grad Kälte und ! '
starker Reifbildung, aber sonst klarem Himmel, diese schon längst ^ i geplante Wanderung unternahm. ! i
Nachdem ich in der Bahnhofswirtschaft Niedernhausen meinen ! ^
Morgenkaffee in Gemütsruhe zu mir genommen hatte, mar- >
schierte ich in aller Frühe ganz mutterseelenallein in bester ' !
Stimmung, l'/s Stunden vor Sonnenaufgang von Niedernhausen >
ab. Herrlich ging es sich an dem Hellen kalten Wintermorgen. >
Es lag etwa eine Hand breit hoher Schnee, der sich aber jenseits ^ >
Königshofen nach dem Walde zu erheblich erhöhte. Weil hier '
noch keine Bahn getreten war, hieß es aufpassen, um den rich- >
Ligen Weg nicht zu verfehlen. Da mich Mutter Natur indes in ! > dieser Beziehung mit einer gewissen Findigkeit ausgerüstet hat, ! k so kam ich auch an richtiger Stelle in den düstern Wald. Nun ! i
war alle Gefahr, sich zu verlaufen, gehoben; die alten Buchen j '
an diesem Schneisenaufstieg bis zum Turm der Hohen Kanzel > 1
waren mir durch meine früheren Wegemarkierungsarbeiten nur ! i
zu gut bekannt. ^ '
Früh genug, aber etwas angeschwitzt, kam ich glücklich auf ! ' dem Turme an und wartete nun der Dinge, die da kommen «
sollten. Die Luft war ruhig, der Himmel klar, daher konnte >
ich es schon ein Weilchen hier oben aushalten. Heute hatte ich j §
keine Belästigungen durch die schrecklichen Mückenschwärme, die ! 1
zur Sommerszeit jedem, der hier oben Umschau halten will, den < Aufenthalt verleiden. Zu weiteren Betrachtungen kam ich nicht, denn schon zeigte sich ein goldiger Streifen im Südosten, der ^
den Aufgang der Sonne verkündete. Die in der Nähe des ^
Turmes, mit Schnee beladenen und von Rauhreif überzuckerten !
Tannengipsel fingen an zu glitzern. Plötzlich blitzte ein Strahl ^
über den unermeßlichen Himmelsdom, und als die Sonne ihre ^
ersten goldglänzenden Strahlen unverschleiert über diesen Wald >
von Schnee und Eis sandte, da erstrahlte in dieser Richtung der ^
ganze Wald. Die Sonne schien hinter Höchst aus der Erde zu '
kommen. Wie sich dann ihre Scheibe mit ihrem Silbergold in ^
so herrlicher Pracht immer höher hob, da funkelte der ganze <
Wald wie von Diamanten besät. Ein zauberhafter Anblick! Ein ^
doppeltes Naturschauspiel! Ich fühlte mich von diesem einzig- >
artigen Bilde tief ergriffen. Ein solches Naturereignis hatte ich ^
noch nicht gesehen, daher ist mir die Gesamtwirkung des Sonnenaufgangs von der Hohen Kanzel bis heutigen Tags besser ^
im Gedächtnis geblieben, als alle früher gesehenen. Sowohl der '
Sonnenaufgang vom Rigi und dem Pilatus in der Schweiz, als '
derjenige von der Schneekoppe im Riesengebirge stehen hinter dem 1
ersteren zurück. Nur der Sonnenuntergang, von Helgoland aus '
gesehen, haftet mir ebenso dauernd im Gemüte. Ueber alle Er- «
Wartungen befriedigt, von all dem Schönen, was ich gesehen, '
wanderte ich nun zurück zum Bahnhof Niedernhausen. '
Hoffentlich wird durch diese Mitteilungen ein derartiges ! !
Wintervergnügen besser eingeschätzt und mehr ausgenützt als bisher. Eine Schönheit, die uns so bequem geboten ist und die '
keinen großen Kostenaufwand verursacht, sollte sich keiner ent- !
gehen lassen. Ich bin überzeugt, daß jedermann, der einen Ver- 1
such wagt und der empfänglich für die Schönheit eines Sonnen- ^
ausgangs ist, bei gleich günstigen Witterungsverhältnissen, voll '
befriedigt sein wird. !
Hoffentlich regt sich auch, nach diesem Vorschläge, die wander- ^ sportliche Jugend und macht es mir nach. Kann man sich wohl eine schönere Anregung denken?