Äch war ein sechsjähriges Mädchen , als mich meine
Wärterin durch eine Reihe düsterer Zimmer in einen
Saal führte , wo Alles der Trauer Farbe trug . Die
Wände waren schwarz behängen . Zn des Saales
Mitte erhob sich , von Kerzen erhellt , ein Sarg . Hier >
lag meine Mutter , bleich wie ein Marmorbild , doch
wunderschön . Mit langsamen , feierlichen Schritten
umkreisten die Bewohner unsers Gutes das Todteng ' e -
rüst . Nicht Schmerz , ein inneres Grauen lag
in ihren scheuen Blicken . Es erfüllte mein Gemüth
mit nie gekanntem Schauder und weckte dunkle Ah¬
nungen einer grausen That .
Zch hatte die Mutter nie geliebt , kaum sie ge¬
kannt . Nur in schauerlicher Mitternacht war sie oft ,
gleich einem bösen Geist , erschienen , hatte durch Thrä -
nen und Küsse den süßen Schlummer mir verscheucht .
— Keine Zähre floß der Todten . Mein Herz hing
an der treuen Wärterin . Bebend umschlang ich sie ,
als ein Diener mich aus ihren Armen riß . Ach , ich
sollte die Theure nie Wiedersehn !
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