Einleitung
8- 1. Literatur (Schriftthum) eines Volkes nennen wir die Gesammthcit seiner schriftstellerischen Thätigkeit. Dieselbe ist aber nur insoweit Nationalliteratur, als sie Werke umfaßt, die mit der bewußten Absicht schonen künstlerischen Schaffens entstanden, damit auch Geist und' Gcmüth, die ganze Innerlichkeit eines Volkes, wenigstens theilweise, in sich darstellcn. Die Geschichte der deutschen Literatur wird daher die gesammte deutsche Dichtung begreifen, die deutsche Prosa, insofern dieselbe, neben dem Zweck der Gedan- kcnmittheilung, zugleich auch Schönheit erstrebt, den einzigen Zweck wirklich künstlerischer Thätigkeit.
Neben der Literatur äußert sich das geistige Leben eines Volkes in der Kunst, welche die Aufgabe hat, das Schöne in sinnlich wahrnehmbarer Weise zum Bewußtsein zu bringen. Ihr Zweck ist sonach derselbe und eine Erkenntnis; der Innerlichkeit eines Volkes, seines eigcnthümlichen Schaffens, ohne Betrachtung dieser sich gegenseitig ergänzenden Aenßernngen, Literatur und Kunst, nicht möglich. Die Kunst kann schöpferisch auftretcn in Zeit und Raum; in Beziehung auf jene ist sic Musik, ihr Stoff der musikalische Ton; soweit sie im Raume wirkt, tritt sie, das Bedürfniß veredelnd, auf als Baukunst, in noch reinerer, von allem Nützlichen absehender Weise in der Malerei und Bildhauerkunst, von denen jene in der Farbe, diese in dem festen bildsamen Stoff des Steins, Erzes rc. sich thätig erweist.
8- 2. Die ganze deutsche Nationalliteratur ist ein Ausfluß des edcln deutschen Volks ge ist es, welcher trefflich von Görres als „einfach, ruhig, still, in sich geschlossen, ehrbar, von sinnlicher Tiefe weniger in sich tragend, aber dafür um so mehr für die höheren Motive aufgeschlossen", bezeichnet wird. Sie hat dabei das Gemeinsame, daß sie nur zum Thcil auf dem eigentlichen Volksthume ruht, sich mei-
Buchner's Gcsch. d. deutsch. Lit. 1