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§ 1. Problem und Stellungnahme.

5. Das BGB. hat die Grundsätze der Gesetzesaus­legung nicht festgelegt, sondern ihre Ermittlung der Rechtsentwicklung überlassen. Wir haben ein legislatives Blankett vor uns, das wir gemäß der vertretenen Grund­anschauung dadurch auszufüllen haben, daß wir die denk­baren Verfahrensformen ins Auge fassen und auf ihre Interessen Wirkung, auf ihren Le­benswert prüfen.

Bei der Einzeluntersuchung soll nach Möglichkeit versucht werden, die zusammengesetzten Denkoperationen der Gesetzesauslegung auf die einfachen Vorgänge zurück­zuführen, die wir bei anderer Gelegenheit und nament­lich im Alltage vollziehen 27a ). Solche Reduktionen und Parallelen sind geeignet, die Selbstbesinnung zu fördern und ermöglichen es, die ungezählten Erfahrungen des Alltaglebens über die Brauchbarkeit bestimmter Ver­haltensmethoden für die umstrittenen Probleme zu ver­werten.

Die Auslegung des Gesetzes ist ein dienender Teil­akt in dem Gedankenprozesse der richterlichen Fallent­scheidung und von den Endzielen und den Bedingungen dieser Gesamttätigkeit abhängig. Deshalb soll eine Wür­digung der richterlichen Fallentscheidung nach den Grund­sätzen der Jnteressenjurisprudenz den Ausgangspunkt der Untersuchung bilden (§ 2). Diese Erörterung ist etwas Gesichtspunkte zu verkennen, die bei der Auslegung eingreifen. Für unser Problem ist die Verschiedenheit so groß, daß sich die Trennung empfiehlt; vgl. § 8 Anm. 121.

27) Das alte Dogma error suris nocet hat früher die Grund­sätze der Gesetzesauslegung zugunsten der objektiven Deutung be­einflußt. Das Dogma ist auf dem Gebiet des Privatrechts verschwun­den und deshalb ist heute die getrennte Behandlung der beiden Pro­bleme möglich und wegen ihrer inneren Verschiedenheit geboten, vgl. § 8 N. 2. Den Beschlüssen des 3. deutschen Richtertags, welche die Beseitigung des Dogmas für das Strafrecht anstreben, kaM ich nur beistimmen.

27°) Einen Vorgang bietet S. Schein, Unsere Rechtsphilo­sophie und Jurisprudenz 1889.