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Vierter Band.
Jllustrirtes Panorama.
und Brienzer-See, ist mit Recht einer der beliebtesten Ruhepunkte für Schweizer - Wanderungen. Wir hören weder die feurigen Fantaren eines Musikchores, noch Las demoralisirende Winfelgeklapper anderer Bäder; auch sind die Promenaden weder die Schaustätten der neuesten Pariser Moden, noch ist ein Theater vorhanden, die Langeweile bei Regenwetter zu vertreiben. Wer in Jnterlaken lebt, muß auf die Annehmlichkeiten großer Kurorte verzichten, dafür wird er überreich entschädigt durch die großartigste landschaftliche Scenerie. Trotz alledem strömen in beiu Oertchen die Reisenden aus de» fernsten Gauen zusammen, hier einige Zeit ein beschauliches Stillleben zu führen. Auch der Londoner Kletter-Klub macht hier gewöhnlich L-tation, sich zu seinen gefahrvollen Epcursioneu zu rüsten. In der Pension Ritschard, wie in den andern Hotels drehte sich seit einigen Tagen die Conversation lediglich um die projectirte Besteigung der Jungfrau, welche mit ihren silbernen Spitzen weit hinaus leuchtet bis an die Grenzen des schonen Schweizerlandes. Der imposante 12.827 Fuß hohe Bergkegel hat seinen Namen jedenfalls der Reinheit seines blendenden Schneegewandes zu verdanken und ist bereits am 3. August 1811 durch ein kühnes Brüderpaar, durch Rudolph und Hieronymus Meyer aus Aarau zun, ersten Male erstiegen worden. Nach ihm unternahuren die berühmten Geologen Agassiz aus Neufchatel und Studer ans Winterthur, sowie der geistreiche Beschreiber der Gletscherwelt, der Engländer Forbes, die'gefahrvolle Partie; jetzt ist der Weg zu ihrem Gipfel bekannt, erfordert aber noch immer einen schwindelfreien Kopf, Kraft, Math nnd feste Nerven. Ich beschloß, mich dem Klelter-Klnb anznschließen und begab mich nach dem Rendezvous der Bergsteiger, dem nur eine Stunde von Jnterlaken gelegenen Dorfe Lauterbrunnen. Im Steinbock wiuuuelte es von Führern und nuteruehmnngslustigen Engländern, welche sich trotz sonstiger Unzugänglichkeit sofort geneigt zeigten, mich an ihrem Zuge Theil nehmen zu lassen. Es wurde Kriegsrath gehalten, und der Bohren-Peterli, Almer, die Brüder Banmann, sowie die übrigen Führer gaben ihr entscheidendes Votum dahin ab, daß ohne Christian Roth sie es nicht wagen dürften, die Führung zu übernehmen. Wir begaben uns in plano in seine Hütte, fanden aber nur seine Frau und seine drei halberwachsenen Söhne, welche sich bereits den Ruf als beherzte Genisenjäger erworben hatten und schnell entschlossen waren, in Gemeinschaft mit ihrem Vater, dessen Rückkehr stündlich erwartet wurde, uns zu geleiten. Der Abend war längst angebrochen, als der alte Roth mit seinen Söhnen am Thvre des Steinbocks klopfte und Einlaß begehrte; die Nacht versprach wundervoll zu werden; der Blond leuchtete in vollem Glanze und die Luft war klar und frisch. Die Engländer wollten zwar erst am nächsten Morgen aufbrechen, Roth dagegen erklärte sich für sofortigen Marsch. Die Führer mit Strickleitern, Schaufeln, Haken und Lebensmitteln beladen, eröffneten den Zug, die Clubiften, die Plaids malerisch um die Hüften geschlungen, den mit Eisen beschlagene» Bergstock in der Faust, folgten; als Arriöregarde schlossen sich einige Männer an mit Laternen und Pechfackeln, für den Fall, daß des Mondes Sichel durch eine Wolkenschicht versinstert würde oder die Nebel fielen. Auch mit Büchsen und Revolvern hatten wir uns bewaffnet, zwar nicht ans Furcht vor Räubern, doch zum Schutze gegen grimmige Bären, welche zuweilen noch in entlegenen Alpenthälern Haufen und die, aus ihrer Ruhe ausgeschreckt, möglicherweise ihre wuchtigen Tatzen fühlbar mache» konnten.
DaS liebliche Lauterbrunner-Thal entlang führte unser Weg; von der Höbe herab sandte der vielbewuuderte
Staubbach, in Millionen Perlen aufgelöst, seinen ^glänzenden Wasserstrahl in kühnem Bogen in die Tiefe. Wie Geisterstimmen klang es durch die Nacht; nicht donnernd, wie andere Fälle, leise schlagen die silbernen Tropfen an die Felfenwand, das ganze Thal mit schimmerndem Thau bedeckend.
Kaum waren wir eine Stunde gewandert, so kamen wir auf schlüpfrigen Moos-Boden, der Schnee knisterte unter unseren Füßen; die Vegetation hatte fast aufge- hört nnd nur Enzian und Hahnenfuß wucherte in winziger Kleinheit auf dem steinigen Boden. Die Luft wurde frischer und je höher wir stiegen, je fester hüllten wir uns in den warmen Plaid; bald hatten wir die Schneegrenze erreicht, hinter uns lagen die duftigen Wiesenmatten, vor uns herrschte ewiger Winter. Flüchtige Gemsen scharrten ans dein felsigen Boden die'letzten Zieste einer spärlichen Vegetation und jagten bei der Annäherung unseres Zuges von Klippe zu Klippe. Hinter einer Felsenspalte lauernd, lag der Fuchs auf dern Anstand nach Schneehühnern. Es schien kaum möglich, daß Thiere sich in dieser Wüste heimisch fühlen könnten und doch versicherte mich der alte Roth, daß er außer dem höher hinauf horstenden Steinadler am Tage sogar Buchfinken, Fliegen, ja selbst Schmetterlinge beobachtet habe, welche, vom Winde heraufgejagt, halb erstarrrt kaum noch die Flügel bewegen könnten.
Beiin Schimmer des Mondes 'bemerkte ich hinter einem Steinhaufen versteckt einen Fuchs. Ich langte die Büchse von meiner Schulter, legte an und drückte sie ab auf das Wild. Kaum hatte der Schall an mein Ohr geschlagen, so ertönte auch, von dem Luftdruck bewegt, der erschütternde Donner einer rollenden Laviue. Einem unserer Führer verging bei dem Getöse der Aihem, er taumelte. Ich wollte zu seiner llnterstütznng herbeieilen und ihn in meinen Armen auffangen, da breitete unser alter Christian Roth seine Hände vor mir aus und sagte mit ruhiger Stimme: „Welche Unklugheit. die Schneerinue hat noch keine Festigkeit, bleibt stehen, er ist kräftig genug, allein auszustehen!"
Das war edel genug in Bezug auf meine Person gedacht, bewies aber wenig Rücksicht für feinen College»; jitm Glück erholte sich derselbe gar bald nnd stand wieder fest in seinen Schuhen.
Endlich waren wir bei dem schwierigsten Punkte unserer Unternehmung angelangt. Wir befanden uns am Rande der sogenannte» Trümmleteu, riesiger Steinhaufen, welche sich durch die Gewalt der Lavinen seit Jahrtausenden von den Granitkegeln abgelöst und in der grausigen Tiefe ein Bett bereitet haben. Von unsichtbaren Gewässern nnterwühlt, haben sie sich terrassenförmig gesenkt bis an den Fuß der Alpenkette, das schauerliche Trümmleteu-Thal bildend, welches noch keines Menschen Fuß betreten hat. Riesige Lavinen lagern in diesem Abgründe, gefüllt mit ewigem Schnee. Ein schmutziger, wilder Lergstrom, mit einer Eiskruste überzogen, hemmt die Passage, wir springen glücklich hinüber und bestnden uns vor einer grausigen, breiten Gletscherspalte. Als gewissenhafter Führer fordert uns Roth auf, indem er eine Pechfackel entzündet und in den klaffenden Riß steckt, in das Innere des Gletschers zu schauen. Eines der herrlichsten Schöpfungswunder fesselt unsere Blicke. Die Eisspitzen glänzen in wun- derbar schönem Blau, in allen Schattirungen vom Azur bis zur Pracht des Jndigo's klar und durchsichtig und bilden eine Reihe Prismen, deren Ränder herrliche tiefgrüue Strahlen werfen. Kaum vermögen wir uns von dem zauberisch schönen Anblicke loszureißen.
^Noch heute weiß ich nicht, wie ich diese Eisspalte passirt habe, Schwindel erfaßte mich und ich kann mich nur erinnern, daß ich an einem um den Leib gewun-