S. 426 DIE TALSPERRE. ' 1911

an der Neisse und Elbe und die sächsische Talsperre bei Malter und Klingenberg:.

Bei diesen Anlagen haben die betreffenden Staaten Böhmen und Sachsen den Hochwasser­schutzwirkungen durch namhafte Beiträge zu den Anlagekosten Rechnung getragen. Zu den böhmischen Talsperren haben sogar der Preußische Staat und die Provinz Schlesien aus Rücksicht au! den bis in Preußisches Gebiet hinreichenden Hochwasserschutz der Neisse Beiträge geleistet. Wenn die Staaten als solche anerkennen, daß der Schutz vor den Verheerungen der Hochfluten zu den Auf­gaben der Staaten gehört und grundsätzlich den in dieser Beziehung von den Talsperren geschaffenen Nutzen nicht umsonst verlangen, sondern durch Kapitalsbeiträge abgelten wollten, so würde noch einer großen Zahl Talsperren hierdurch die Entstehung ermöglicht werden.

So haben die Talsperren am Bober und Queis. jedenfalls bahnbrechend gewirkt und der Technik des Talsperrenbaues das Feld erweitert. Nicht minder bedeutsam sind diese Talsperren aber auch schon allein durch ihre Größe und ihre konstruktiven Einzelheiten. Wir sind gewöhnt, die Bedeutung einer Tal­sperre nach der Größe ihres Stauraumes zu beurteilen. Es ist dies indessen nicht der richtige Maßstab. Die technische Bedeutung hängt vielmehr von der Größe und Anordnung solcher Bauwerke selbst ab, während die Größe des Stauraumes oberhalb des eigent­lichen Bauwerkes vorwiegend durch die natürlichen. Verhältnisse des betreffenden Tales bedingt, also mehr ein Verdienst der Natur als der Technik ist. Von den Abmessungen der Talsperren ist hierauf nur die Höhe von Einfluß, wie nach der Höhe der Talsperren überhaupt die technische Bedeutung der Tal­sperren in erster Linie beurteilt werden muß, da mit der Höhe die für ihre Stärkenbemess­ung maßgebende Beanspruchung, und zwar im quadratischen Verhältnis und damit auch die Massen des Mauerwerkes selbst in gleichem Maße wachsen, und da sich mit der Höhe auch die sonstigen mit der Ausführung eines solchen Bauwerkes verbundenen Schwie­rigkeiten, im besonderen eines wasserdichten Abschlusses der Felswände und der Ent­lastung des Staubeckens bedeutend vergrößern.

Die Talsperre bei Marklissa hat bei einer Länge von 130 m und einer Mauerwerksmasse von 65 000 cbm von der Fundamentsohle bis zur. Mauerkrone eine Höhe von 45 m, und die Talsperre bei Mauer desgleichen bei einer Länge von 270 m und einer Mauerwerks­masse von 250 000 cbm eine Höhe durch­schnittlich von 60 m, die an der tiefsten Stelle der Gründung auf 69 m heraufgeht. Sie über­trifft hiermit alle Talsperren Deutschlands und Europas und steht an der Seite der bedeutend­sten Anlagen der Welt, der Croton-Talsperre bei New-York mit 72 m Höhe von dem Fels- grunde und dem neuesten Riesenwerke, der Roosevelt-Talsperre mit 82 m Höhe bei einer nahezu gleichen Mauerwerksmasse von 260 000 cbm.

Beide Talsperren sperren sehr umfangreiche Niederschlagsgebiete ab, und zwar die Tal­sperre Marklissa von 310 qkm und die Tal­sperre bei Mauer 1210 qkm. Die Abführung der bedeutenden bei der stark abfallenden Lage der Gebirgshänge zu außerordentlicher Höhe anschwellenden Wasserabflußmengen aus dem Staubecken bietet namentlich bei vollem Staubecken nicht zu unterschätzende Schwierigkeiten. Von allen Sonderheiten der Konstruktion dieser Talsperren sind es daher vorwiegend die Entlastungsanlagen, die die Aufmerksamkeit der technischen Welt in hohem Maße auf sich gelenkt haben.

Zur Entlastung der Stauräume der Talsperren sind im allgemeinen Grundablässe nötig, um das aufgestaute Wasser ablassen und das Staubecken entleeren zu können und Ueberläufe, welche bei vollem Staubecken den namentlich bei großen Hochfluten noch zuströmenden Wassermassen einen freien unschädlichen Ab­fluß gestatten. Die Grundablässe liegen also unten in der Tiefe des Stausees und die Ueberläufe hoch oben, gewöhnlich an der Seite der eigentlichen Sperrmauer, häufig und zweckmäßig auch mitten auf der Sperrmauer selbst.

Für die Grundablässe werden gewöhnlich eiserne Rohre mit Schieberverschlüssen, die durch lange Gestänge von der Krone der Sperrmauer aus bedient werden können, ein­gebaut. Wenn durch derartige Rohre Wasser­mengen wie bei Marklissa von lio cbm/Sec.