I. Jahrgang
Romanbeilage zu „Kolonie und Jleimat“
Nr. 7
* Weihnacht in Südwestafrika.
Kalkfonfein. Ein Feldaltar aus Munitionskörben. Rechts und links flankierend zwei Geschütze, Gewehrpyramiden, vor dem Altar ein eisern Kreuz mit der Inschrift „Gott mit uns“ aus Artillerie- und Infanterie- Geschossen. Ringsum die Kolonne Meister. Nicht mehr so stark, als sie ausrückte gegen Hendrik, denn mancher, mancher fehlt. Ihn deckt nicht der grüne Rasen, aber heisser afrikanischer Sand, Steine, Klippen. Und.an dem Altar steht unser Pfarrer Schmidt. Welcher Südwester kennt ihn nicht? Und die Stimme des Geistlichen klingt bewegt und reisst sie mit sich, die rauhen Kriegerherzen, zum „Gott der rettenden Liebe“, von dem er predigt. Wir singen aus dem Feldgesangbuch, auf dessen Blätter gar manche Träne — niemand schämt sich ihrer — fällt. Oberleutnant Overbeck, auch er ist nicht mehr, gibt den Ton an. Brausend quellen die Töne aus rauhen Kehlen. Der Gottesdienst ist vorüber. Die Kompagnien begeben sich nach ihren steinigen, klippenreichen Lager
plätzen zurück und treten auseinander.
Der Weihnachtsproviant wird verausgabt. Kakao,
wie lange ist er schon für diesen Tag aufgehoben, ranziger Speck, etwas Mehl, Fleisch und Rum. Nicht zu vergessen den ewigen Reis. Die neue Pferdewache zieht aus, die alte kommt herein. Die Lagerposten werden abgelöst.
In der Mitte unseres Platzes steht ein grosser Dornbusch, der gekappt wird, um der Kompagnie als Weihnachtsbaum zu dienen. Bestreut mit etwas Watte aus der Sanitätskiste, behängt mit „Shamas“, einigen Wagenlichtern und leeren Konservenbüchsen macht er sich gar fein und stattlich. Um ihn lagert an ihren Feuern die Kampagnie in engem Kreise. In den Töpfen brodelt das dickflüssige, milchfarbene Wasser, das dem Platz seinen Namen brachte. Der Hauptmann tritt in den Kreis, um zu uns zu sprechen von der Bedeutung des Tages. Er gedenkt unserer Lieben daheim, und auch seine rauhe Stimme klingt bewegt, denn Weib und Kind bangen daheim um ihn. Und er wünscht uns den Umständen entsprechende „Fröhliche Weihnachten“. Dann findet eine Verlosung statt, für die ja schon lange gespart worden ist. Jeder gewinnt etwas. Eine Flasche Rum, ein paar Zigarren, ein bischen Schokolade. Das ist alles. Von den Liebesgaben hat uns nichts eireicht, und das ist übrigens ja auch unmöglich. Kann ja kaum der nötige Proviant herangeschafft werden. Und offen und ehrlich gesagt, uns war eine Proviantkolonne hundertmal lieber wie die grösste Liebesgabenkolonne, wenn uns jemals eine erreicht hätte, was nie vorgekommen ist.
Die Verlosung ist vorüber. Empor zum Sternenzelt tönen die allen trauten, von Kindheit an gesungenen Weihnachislieder der fernen Heimat. Mit Begeisterung und mit mehr lauter als schöner Stimme beteiligt sich alles. Dann folgen deutsche Soldatenlieder, erst gemeinsam, dann singen einzelne Gruppen für sich, jede ein anderes, alle zugleich. Schön ist’s vielleicht nicht, aber der Liebe und Begeisterung tut’s keinen Abbruch. Da tritt unser Major mit dem Pfarrer in unsern Kreis und noch einmal eint alle das Schutz- und Trutzlied der Südwester: „Ich bin ein junges Reiterblut in kaiserlichem Sold, trag auf dem Ohre keck den Hut, frag’ nicht nach Lieb, nach Gold.; hab’ unter mir ein flottes Pferd und führ’ ein gut’ Gewehr, was sonst der Himmel mir beschert, das fällt bei mir nicht schwer“ u. s. f.
Doch dann wird’s allmählich stiller, noch hier oder dort eine der
sehnsuchtsvollen Volksweisen, dann schliesslich nur noch leise Unterhaltung an den Feuern. Niemand hat Post, keiner ein Lebens-, ein Liebeszeichen von denen daheim, die einem lieb sind. Und auch die flüsternde Unterhaltung verstummt. Ein jeder liegt und sinnt. Die Gedanken eilen, fliegen weit über Land und Meere zu der Heimat, zu den Lieben; und siehe, auch dort steigen Gedanken empor und nehmen ihre Richtung nach Südwest. Und im grossen, weiten Weltall da begegnen sie den unseren, und nun gibt’s ein Erzählen vom Vater, vom Mütterchen, von der Liebsten, von den Geschwistern und Freunden allen, von Tannengrün und Tannenduft, von Lichterglanz und Kinderjubel. Und die Herzen der rauhen Krieger, die oft dem Tode ins Auge geschaut, lauschen entzückt, sie saugen die Laute auf und merken gar den harzigen Tannenduft.
Wird dieses Fest dein letztes sein? Wer unter uns stellt sich nicht die Frage? Es ist ein Glück, dass dem Menschen verborgen ist, was die Zukunft bringen wird. Nur zehn Tage später, da lag die Hälfte schon von uns tot oder verwundet im Sande. —
So wandern unsere Gedanken. Wir sind der Wirklichkeit entrückt, bis uns das scharfe Abrufen der Posten wieder daran erinnert, wo wir uns befinden und uns die Gewissheit gibt, dass brave Kameraden über unsere Ruhe wachen.
Die Feuer brennen nieder bei uns, verlöschen. Einer nach dem andern erhebt sich, holt sich seinen Woylach und legt sich frierend mit schmerzenden Knochen auf das harte Gestein zur Ruhe nieder. Die Augen fallen zu. Ab und an der Ruf der Posten, das Gebell eines Schakals. Die Sterne blinzeln nieder auf die ruhenden Kämpfer. K. S.
Weihnachtsfeier der Verwundeten und Kranken im Genesungsheim zu Abbabis.
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Silvester.
Von Freifrau von Schleinitz-Stavenhagen.
„Donnerwetter, Christi, jetzt trink aber aus, alte Trantunke“, „hoch die kleinen Mädels,“ „hoch, hoch, hoch.“
Wirr klang das Hochrufen durcheinander, Gläserklang mischte sich darein, Stühlescharren und helles Lachen.
Der mit Christi angeredete Offizier erwachte wie aus einem Traum, mechanisch ergriff er das dargereichte Glas, aufstehend trank er es mit einem Ruck leer und machte gezwungen lachend die Nagelprobe, nicht ein winziges Tröpfchen perlte aus dem zierlichen Punschglas auf den langen wohlgepflegten Nagel. Stürmische Bravos belohnten ihn, der Christi war doch famos, aber heute Abend — was war nur verkehrt bei ihm?
Im taghell erleuchteten Kasino der X-Dragoner wurde von den nicht in die Heimat beurlaubten Offizieren Silvester gefeiert, und es war eine
alte Regimentssitte, dass sich die Nichtverheirateten und Nichtbeurlaubten zur gemeinsamen Feier zusammentaten. Heute abend kam keine rechte Stimmung auf, waren es nur die Gedanken, die immer und immer wieder in die Heimat zu fernen Eltern und Geschwistern flogen, die störend und lähmend wirkten, oder lastete anderes auf diesem sonst allzeit fröhlichen Kreis?
Das trauliche Gemach, erfüllt von dem süsslichen Geruch der Pun:-chbowle in dichte Rauchwolken gehüllt, lud doch zur Lustigkeit ein, und die X-Dragoner waren doch ein solch’ frisch-fröhliches Volk; was gab es nur heute?
Wieder klang ein Hoch, die Gläser wurden geleert, die alle Rokokouhr auf dem Marmorkamin, in welchem eine rote Glut langsam ver-