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I. Jahrgang
Romanbeilage zu „Kolonie und JCcimat"
Nr. 9
4m Spieltisch des Glücks.
Inhalt der Kapitel I—III: Die vorhergegangenen Kapitel führen uns in den Randklub, den geselligen Mittelpunkt der „oberen Vierhundert“ von Johannesburg, int Anfang der Entwickelung seiner Goldindustrie und in die Johannesburger Börse und schildern uns den Kampf zweier Goldmagnaten um die Vorherrschaft.
IV. Kapitel.
Zwischen den fetten.
tar Special!“ — „Star Special!“ — „Star Special!“ Die kleinen Zeitungsjungen, welche die Sondernummer des „Star" im Sturmschritt durch die Strassen der Goldstadt trugen, schrien sich fast die Kehle wund. Dabei riss man ihnen schon ohnehin die rosafarbenen Blätter aus der Hand. War doch ein grosser Tag heute: Stürmischer Börsenverlauf; Neuigkeiten vom Cap, Rede Chamberlains und endlich die Resultate des ersten Frühjahrsrennens.
Zwischen den Ketten stiess und drängte sich die Menge. „Between the chains", zu deutsch „Zwischen den Ketten“ heisst die kleine Strasse, welche die geschäftige Commissioner Street mit dem Marktplatz von Johannesburg verbindet. Sie hat den Namen von den schweren Eisenketten, die sie für den Wagenverkehr sperren.
Schneller, stürmischer als an irgend einem andern Punkte pulsiert hier das Leben der jungen, wilden Metropole, in der die raffinierteste Kultur sich so eigenartig berührt mit barbarischer Roheit, in der ungezügelte Genusssucht so seltsame Mischungen eingeht mit unersättlicher Geldgier, mit kühnem Spekulationsgeist.
Johannesburg ist die Spielerstadt par excellence. Kein Strassen- junge, der nicht auf seinen Tip setzt, kein Friseurgehilfe, der nicht seine paar Goldshares hat, keine Zimmervermieterin, deren Laune nicht abhängig wäre vom Kurszettel, kein Kutscher, kein Kellner, der nicht „Informationen* schnorrte.
Was den Grossen die Spekulation, das zielbewusste Werben um Fortunas Huld, der mit allen Mitteln der Finanzstrategie geführte Kampf um die Million, das ist den Kleinen und Kleinsten hier das Spiel. So liegt es über der ganzen Stadt wie eine Atmosphäre ewiger Aufregung, bis ins Krankhafte gesteigerter Nervosität. Wer mag noch an ehrlichen Erwerb denken, wo Hunderttausende gewonnen und verloren werden, wo heute vierspännig fährt, wer gestern noch kleine Läpperschulden kontrahieren musste, wo ein einziger guter Tip mehr einbringt als ein Jahr schwerer Arbeit?
Wie eine Seuche hat das Gold hier alles korrumpiert, den kleinen Mann wie den mächtigen Beamten, den weissen wie den farbigen Arbeiter, die Justiz, die Polizei, die Regierung selbst. Die Politik sogar wird mit Gold gemacht. Keinem, der sie bezahlen kann, versagt sich die feile Dirne Johannesburgs, keinem Geldsack versagt sich der „Hüter der öffentlichen Ordnung“, keinem der Richter, keinem die Presse.
Hier darfst du prügeln und schänden und morden, du darfst jeglicher Moral und jeglichem Gesetz ins Gesicht schlagen, du musst es nur bezahlen können. Gegen entsprechende Kaution wird jeder Richter dich alsbald wieder auf freien Fuss setzen, und schmunzelnd sackt der Staat die Summe ein, wenn du dich eine Zeitlang nicht mehr sehen lässest.
Nur arm sein ist Schande hier, nur der Habenichts ein Verbrecher. Und niemand weiss das besser als der Mann zwischen den Ketten, dem der schmucke weisse Börsenbau an der einen Ecke der Strasse, das rote Sandsteinmassiv des Albertsschen Geschäftshauses an der anderen wie eindringliche Wahrzeichen des Gottes erscheinen, zu dem hier allein gebetet wird, des Mammon.
Wenn du eine Johannesburger Hausfrau nach dem Beruf ihres Mannes fragst, so wird sie dir in vielen Fällen nichts anderes antworten können als: „Er geht nach den Ketten!“
Dort gehen die Berufslosen ihrem Berufe nach, dort finden die Beschäftigungslosen eine oft täglich wechselnde Beschäftigung. „Zwischen den Ketten“ heisst die illegitime Börse der nicht Börsenfähigen. Hier wird gehandelt und geschachert, gekauft und verkauft. Mancher, der heute hinter den weissen Mauern mit riesigen Summen jongliert, hat noch vor kurzem zwischen den Ketten gestanden, mancher auch, der heute zwischen den Ketten armselige Provisionen schnorrt, war vor nicht langer Zeit ein Gewaltiger im Kaffernzirkus.
Orig in al-J^oman
von
Jfeiny tfening.
Ein ewiges Hinüber- und Herüberfluten zwischen drinnen und draussen^ ein ewiger Wechsel zwischen den Outsiders und den Favoriten des Glücks; viel grossen Reichtum gibt’s in Johannesburg, aber nur wenig soliden, keinen durch Generationen gefestigten.
Denn wenig Jahrzehnte sind es her, dass nur ein einsamer Kaffernkraal die Oede des Carroo unterbrach an der Stelle, wo heute schimmernde Paläste emporragen und elegante Juckerequipagen über den glatten Asphalt fliegen. Neu ist hier alles; Parvenutum ohne Tradition, ohne Kultur, ohne Pietät, Paryenutum, das durch keine Beziehungen mit Vergangenem und Gewesenem belastet ist.
Es fehlen die Uebergänge, 'es fehlt jeglicher Zusammenhang, es fehlen die Spuren der Entwicklung. Fast von Anfang an war hier alles fertig, gleich als ob man sich in der Heimat von der Zivilisation nur das Neueste und Modernste hätte einpacken lassen, um es hier am Witwatersrand wieder auszupacken und hübsch nebeneinander zu stellen.
Ueberall alter Wein in neue Schläuche gefüllt! Niemals hatte diese Stadt schwerfällige Kutschen, niemals Pferdebahnen oder Gasbeleuchtung gekannt. Das Automobil, die Nernstlampe, der elektrische Strassen- wagen waren hier zu einer Zeit heimisch, wo man in Europa dem allem noch mit misstrauischer Reserve gegenüberstand.
Vorurteile freilich, die gab’s auch in Johannesburg, aber sie waren anders geartet, wenngleich nicht weniger lächerlich als in der alten Welt.
Der blöde Hass der Buren gegen das Ausländertum wurde von den Engländern mit fast kindlicher Gewissenhaftigkeit erwidert. Als ob das neue Land nicht jedem Ehrgeiz, nicht jedem Drang nach Betätigung breitesten Spielraum böte, als ob hier nicht ein unendlich reicher Tisch bereitet wäre, an dem jeder satt werden konnte, missgönnte man sich gegenseitig Besitz und Erfolg, Ersessenes und Erworbenes, stritt man um Nichtigkeiten, erhitzte man sich um Probleme, die man meist Hand in Hand so leicht hätte lösen können.
Mit kleinlichen Eifersüchteleien, mit Zorn und Feindschaft, mit Intrigen und oft recht wenig harmlosen Machenschaften belastete man gedankenlos die Zukunft des jungfräulichen Landes, senkte man leichtsinnig den Keim der Vernichtung in mühsam Aufgebautes.
Gedankenlos wirtschaftete man in Pretoria mit dem Golde der Minen in dustrie, gedankenlos hetzte man in Johannesburg gegen die Regierung, gedankenlos baute man zwischen den Ketten Kartenhäuser auf Kartenhäuser.
Gedankenlos prügelten die einen den farbigen Eingeborenen, während die andern ihn ebenso gedankenlos verhätschelten. In Pretoria war ihm das Trottoir verboten, in Johannesburg war er die Stütze der Office, der Löwe des Boudoirs, und zwischen den Ketten mischten sich die sonderbaren Schnalzlaute des Kaffernidioms mit dem melodischen Mauscheln und dem „Pidgin“ des süssen Mob.
„Star Special!“ Man kommentierte Mr. Grants Ausspruch über das „gefährliche Wagnis* Benje Benonis. Man wettete auf den Ausgang der Schlacht zwischen den beiden mächtigen Rivalen. Hohnlachend
Johannesburg.
Die Bilder sind dem Werk von Curt Crämer „Aus meiner Wanderzeit“, Verlag von D. Reimer, Berlin, entnommen.