Geilage M Nr. 29 -er Deutschen Schuheitung.

Berlin, den l9. Zuli 1888.

Wer ist -er Komponist -es KirdesDev Mai ist gekommen"?

Die meisten Leser unseres Blattes werden die Antwort schuldig bleiben, wenngleich sie und mit ihnen ungezählte frohe Wanderer die Melodie in die frische Maienluft hinausgejubelt haben. Fast sämt­liche Liederbücher tragen an der Spitze dieses Liedes die Notiz: Volksweise"; das ist irrig. Der Komponist ist der Pastor Justus Wilhelm Lyra. Wir sind in der Lage, über das Leben dieses Mannes einige Nachrichten geben zu können. Leider gestatten uns persönliche Rücksichten gegen seine Angehörigen nicht, ein größeres Lebensbild zu liefern; ein überaus reiches Material befindet sich in den Händen eines Amtsbruders des Verstorbenen; jedenfalls wird derselbe früher oder später eine vollständige Darstellung bringen. Wir werden dann nicht verfehlen, darauf hinzuweisen. I. W. Lyra wurde am 23. März 1822 zu Osnabrück geboren. Schon in seiner Jugend äußerte sich bei ihm eine ausgesprochene Neigung, den Dingen auf den Grund zu kommen; daneben war bei ihm der Sinn für Musik in hohem Maße ausgebildet. Den ersten Unterricht in Generalbaß genoß er bei Thorbeke in Osnabrück. Als t 9 jähriger Jüngling zog er nach Berlin, um bei Marks Kompositionslehre, Choralfiguratwn und Contrapunkt theoretisch und praktisch zu studieren. Marks, der mit Kennerblick die großen musikalischen Gaben Lyras entdeckt hatte, übte vielen Einfluß auf ihn aus. In einem Briefe an seine Eltern, sagt Lyra, daß Marks einige seiner Sachen durchgesehen und zur gelegentlichen Aufführung im akademischen Chor bestimmt habe. Im Herbst 1842 arbeitete er fleißig mit an dem Studentenliederbuche, für welches er folgende sieben Lieder komponierte:Der Mai ist gekommen",Es schienen so golden die Sterne",Die bange Nacht ist nun herum"Durch Feld und Buchenhallen",Ein Bruder schloß die Augen zu",Mein Mus' ist gegangen" undDie Scheide­stunde fliegt vorbei". Im Jahre 1843 ging er nach Bonn, um daselbst Theologie zu studieren, vernachlässigte jedoch die Musik nicht, von der er in einem Briese etwa folgendes sagt:Die Musik ist nicht meine eigentliche Lebensaufgabe, wohl aber ein wesentliches Moment meines Lebens", ihr ist er bis an sein Ende^ treu geblieben. Das Studium Bachs führte ihn der kirchlichen Musil zu. Auf diesem Gebiete schuf er in späteren Jahren eine große Zahl von Motetten; auch eine größere Weihnachtskantate befindet sich in seinem Nachlaß. Sie bestätigen vollauf, was eine Zeitschrift für kirchliche Musik bei seinem Tode (30. Dez. >882 zu Gehrden bei Hannover, wo er Pastor prim. war) schrieb:Lyra war einer der gründlichsten Kenner alt evangelischer Liturgie." Von seinem Wissen und Können hat er nie Aufhebens gemacht, obwohl er ein gelehrter Mann war. Wir lassen nicht unerwähnt, daß er vor einer Reihe von Jahren den Preis von 500 Thalern für ein Werk erhielt, in dem er die Religions­philosophie der Indier und ihre Beziehungen zum Christentum dar­stellte. Das sehr gelehrte Werk giebt den Lebenslauf eines Brah- minen an, der von' der Wahrheit des Christentums überzeugt wird und sich dann taufen läßt. Lyra war ein gründlicher Kenner des Sanskrit und dazu ein klarer Kopf; leider ist sein Werk wegen des großen Umfanges nicht gedruckt worden. Die Original-Handschrift befindet sich in einer Bibliothek zu Halle a. d. S., ein Auszug davon im Missionshause zu Leipzig. Die Herausgeber von Liederbüchern haben der KompositionDer Mai ist gekommen" ein schönes Zeugnis gegeben:Volksweise" nennen sie es, sie wird's auch bleiben. Wir aber, die wir Lyra in Gehrden persönlich kennen gelernt, die wir uns über seine schöne Komposition so ost gefreut haben, wir wollten in diesen Zeilen einerseits ein Scherflein der Dankbarkeit darbringen, andererseits aber auch eine Handhabe bieten, um die Ehre zu geben, dem sie gebührt. (Hann. Schulztg.)

Kleine Mitteilungen.

Aus Ungarn. Der Unterrichtsministex hat an die kirchlichen Oberbehörden folgendes Rundschreiben erlassen:Unter den Ursachen der ungeheuer großen Sterblichkeit in unserem Vaterlande nehmen gewisse aus älteren Zeiten überkommene Gebräuche, welche das Volk den Eventualitäten einer Erkrankung aussetzen und dadurch für den öffentlichen Gesundheitszustand gefährlich werden, nicht die allerletzte Stelle ein. Als einen solchen Gebrauch erachte ich es, daß die Toten durch Schulkinder mit Gesang hinausgeleitet werden, was in einigen Gegenden, namentlich in den protestantischen Schulen, noch heute Sitte ist. Wie jeder Volksgebrauch, so wird auch dieser zweifels­ohne seinen moralischen Grund haben, der indes, infolge der gewerbs­

mäßigen Übung des Gebrauches, sehr zweifelhaften Wertes geworden ist und neben dem verursachten Schaden vollständig bedeutungslos erscheint. Abgesehen davon, daß die Kinder häufig ganze Nach­mittage der Schule entzogen werden, ist jener Brauch insbesondere aus sanitärem Gesichtspunkt zu verurteilen. Bei Epidemieen, welche leider so häufig sind, werden die Kinder der Gefahr der Ansteckung ausgesetzt, und die Epidemie selbst wird hierdurch weiter verbreitet. Im Spätherbst, Winter und Frühjahr aber sind die zumeist mangel­haft gekleideten Kinder stundenlang den schädlichen Einflüssen des schlechten Wetters ausgesetzt, die Füße werden durchnäßt, die Körper erkaltet und die Kehlen durch das lange Singen im Wind und Regen überaus angestrengt, infolge dessen bei jedem solchen Anlasse einige Kinder erkranken. Auf diesen Umstand habe ich die Ehre, die Auf­merksamkeit der Oberbehörden mit dem Ersuchen hinzulenken, daß mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln dahin gewirkt werden möge, diesen Brauch langsam vollständig zu verdrängen, und na­mentlich aber wollen Sie im eigenen Wirkungskreise verfügen, daß in Zeiten einer Epidemie, sowie auch während der ungünstigen Jahreszeit der erwähnte Begräbnisdienst gänzlich Unterlasten bleibe. Trefort."

Aus Hamburg. DiePäd. Ref." schreibt in ihrer letzten Nummer: Der Pastor Leneberg in Schobüll in Husum sucht für die Elementar­schule zu S. einen Präparanden mit dem jährlichen Gehalte von >50 M. und freier Station beim Küster. 1888 ein Präparand zur Verwaltung einer Lehrerstelle gesucht!" DiePäd. Ref." hätte bei dieser Gelegenheit aus ihrer Vaterstadt Hamburg mitteilen können, daß daselbst alljährlich eine ganze Anzahl von Präparanden mit der Verwaltung von Schulklassen betraut werden, einmal bei Vikarieen, wofür in andern Städten wohl besondere Lehrer zur Verfügung stehen, zum andern jedoch werden Klassen von Präparanden das ganze Jahr hindurch geführt. Im letzteren Falle werden Präparanden verwendet, welche die Aufnahmeprüfung bestanden haben; sie führen den Namen Aspiranten".

Nücklin-Pforzheim schreibt in seineinKorrespondenzblatt für Werkstatt und Schule": Es ist die ständige Klage unserer Kollegen, daß die Fortbildungsschüler so häufig durch die Lehrherren dem Unterricht entzogen'werden. Indessen sind wir itets dankbar, wenn das Widerwärtige wenigstens durch Humor wieder versüßt wird, und das ist denn doch bisweilen der Fall. Einige Pröbchen davon mögen folgen:Da mein Lehrling A. letzten Montag ohne meine Erlaubnis den Jahrmarkt besuchte, so hat er zur Strafe dafür letzten Donnerstag nicht in die Schule gedurft."Mein Lehrling B. konnte letzte Woche nicht in die Schule kommen, da der andere Lehr­ling krank war."Mein Lehrling C. konnte in den verflossenen 8 Tagen den Unterricht nicht besuchen, da er einen bösen Fuß hatte und viele Ausgänge besorgen mußte."

Die Gesellschaft für die Volksschule in Paris will zu der Ausstellung 1889 eine Konkurrenz zwischen allen französischen Schulen eröffnen. Jeder Lehrer hat hierzu seine Titel und Auszeichnungen (!), die Schulprogamme, Angaben über den Bestand der Schule und einen Aufsatz seines besten Schülers einzuliefern. Ob dabei wohl etwas Rechtes herauskommt? (Pr. Sch.)

Die nationale Erziehungsgescllschaft in Lyon schreibt einen Preis von 500 Fr. aus über die beste Vergleichung (in französischer oder fremder Sprache) der Lehrpläne der Mädchenschule in Frank­reich und im Ausland.Ltucks oomparös cku Programms äs l'sv- seignomont clss jounos Mos so k'ranoo et L l'etrangsr, ä l'öpogue aetuelle." Die Arbeiten sind bis zum >. Januar 1889 an den Sekretär der Gesellschaft, M. Mathey, Rue Vaubecourt 7, ein­zusenden.

Über Kaiser Friedrich als Lehrer wird derPreuß. Lehrer­zeitung" folgendes berichtet: Wie seinerzeit Friedrich Wilhelm l. in Königs-Wusterhausen, so inspizierten der Kronprinz und die Kron­prinzessin alljährlich zu wiederholten Malen und stets unangemeldet die Schulen in den beiden ihrer Gutsherrschaft angehörenden Dörfern Bornstedt und Eiche bei Potsdam. So hatte auch der Kronprinz speziell dem Unterricht in der dritten Klasse der Bornstedter Schule längere Zeit beigewohnt, um den neuberufenen Lehrer und seine Unterrichtsweise kennen zu lernen; er wollte dann nur noch einen kontrollierenden Blick in die erste Klaffe werfen, als plötzlich der Brief­träger mit einer Depesche an den Lehrer eintrat, durch welche der­selbe an das Sterbebett seiner hochbetagten Mutter in einem Dorfe bei Spandau berufen wurde. Der Kronprinz forschte nach dem offen­bar schmerzlichen Inhalte der Depesche und erklärte sofort dem Lehrer, daß derselbe unverzüglich «Kreisen müsse, um noch den letzten Wunsch

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