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seiner Mutter zu erfüllen.Gehen Sie," sagte der Kronprinz,die Schule werde ich übernehmen, bis um II Uhr der Herr Prediger zum Konfirmanden-Unterricht kommt. Eilen Sie nur, daß Sie Ihre gute Mutter noch lebend antreffen." Und so übernahm der Kron­prinz in der That das Amt des Lehrers in der Bornstedter Schule und prüfte die Kinder von 1011 Uhr in der Geschichte der Re­formation, hier und da Schilderungen geschichtlicher Persönlichkeiten und Thatsachen jener großen Zeit einflechtend. Nachdem er um I I Uhr die Kinder entlassen, fuhr er bei dem Pastor und Lokal­schulinspektor vor, machte demselben Mitteilung von der plötzlichen Abreise des Lehrers und zeigte demselben gleichzeitig an, daß er noch beim Konfirmanden-Unterricht hospitieren wolle. Und so geschah es. Noch drei Viertelstunden folgte er dem Unterrichte, lobte die Lei­stungen, tadelte aber bei der Inspektion der Bücher den abgenutzten Zustand vieler Bibeln, die auf seinen Befehl und seine Kosten sofort erneuert werden mußten.

Vermischtes.

Weibliche Ärzte. So wenig Verständnis auch das Alter­tum für die Würde der Frau hatte, so gab es doch damals schon hochbegabte Frauen. Sappho war die größte Dichterin des begabten Griechenvolkes. Myrtus hat den Pindar gelehrt, und Corinna trug bei den olympischen Spielen fünfmal den Preis davon. Die hohe Begabung dieser Frauen ermöglichte es ihnen, die Schranken zu durchbrechen, die Gesetz und Sitte ihrem Drang entgegenstellten. Sokrates und Perikles haben die Belehrungvon der Äspasta em­pfangen. Schon damals gab es weibliche Ärzte. Alympias aus Theben hatte großen Ruf, und Agnodice aus Athen heilte Krank­heiten unter Todesgefahr. Zu dieser Zeit war es den Frauen in Athen bei Todesstrafe verboten, Medizin zu studieren und auszuüben. Viele Frauen wollten aber aus Scham den männlichen Ärzten sich nicht vertrauen. So hielt der Tod reiche Ernte, besonders unter den Wöchnerinnen. Das ging der Ägnodice tief zu Herzen, sie setzte ihr Leben ein, um den Frauen Hilfe bringen zu können. Zn männlicher Fracht übte sie ihren Beruf aus und wurde den Kranken ein retten- )er Engel. Äber ihr Geschlecht wurde ruchbar, und aufgrund des gestehenden Gesetzes verurteilte man sie zum Tode. Die Frauen Athens wollten aber lieber mit Agnodice sterben, als letztere opfern lassen. Zur Zeit des griechischen Kaiserreichs widmeten sich viel: Fruueu der Medizin. Die reiche Nika.ele entsagte dem eheliche.- Leben, warf sich mit ihrer ganzen Kraft auf das Studium der Me­dizin und übte dann die Heilkunde aus. Sie wurde der Liebling des Volkes. Auch das Mittelalter kannte schon berühmte weibliche Ärzte. Elisabeths Lavrence, 1644 in England geboren, that sich glänzend hervor. Dieselbe setzte die ersten Männer der Wissenschaft m Staunen über ihre präzise, scharfsinnige Darstellung der schwierig­sten Fälle der Medizin. Trotz ihrer umfassenden Kenntnisse und ihrer außerordentlichen Geschicklichkeit besaß sie das größte Mißtrauen zu ihrer Kunst. Ihre glücklichen Kuren erwarben ihr jedoch unge heuren Ruf. Zustine Dietrichin aus Schlesien übte schon frühe den Beruf einer Geburtshelferin aus. Christine Leporin praktizierte mit großem Erfolg als Arzt in Quedlinburg. Eine Sibold erwarb sich 1816 den Doktorhut. Eine Marie Sybilla Maron aus Frankfurt am Main hat sich als Naturforscherin Berühmtheit erworben. Wäh­rend man in der alten Welt die Frau als Arzt völlig zu verdrängen suchte, schlug man in der neuen Welt den umgekehrten Weg ein. Gegenwärtig praktizierten in den Vereinigten Staaten der Union mehr als 300 weibliche Arzte mit unbestreitbarem Erfolge. Elisa- betha Blackwell ist der weibliche Pionier, der diese Bahn für das weibliche Geschlecht aufgethan und damit der menschlichen Gesellschaft eine unermeßliche Wohlthat erwiesen hat. Sie studierte auf der Universität Genf im Staate New-Aork und gründete 1860 eine me­dizinische Schule für Frauen. Im Jahre 1868 feierten 300 weib­liche Ärzte das achtzehnte Stiftungsfest der Medizinschule, und bei diesem Anlasse wurden 14 Damen zu Doktoren ernannt. Lucy Abott und Eliza Chapian, die das Krankenhaus in New-Aork leiteten, be­handelten in einem Jahre 6887 Frauen und Kinder. Die weiblichen Arzte werden in Amerika sehr gut bezahlt. In Philadelphia sollen von sechs weiblichen Ärzten eine jährlich zwischen 30 000 und 40 000 M. verdienen. In Orange, New-Jersey, beläuft sich das Einkommen einer der Ärztinnen auf 60 000 M. In New-Aork soll eins andere jährlich 65 000 M. einnehmen.

Einladung

zur Teilnahme an der Feier des hundertjährigen Bestehens des Großhrrzogl. Lehrerseminars zu Weimar.

Das am 31. März 1788 vom Herzog Karl August gegründete und von Johann Gottfried v. Herder zuerst geleitete Seminar zu Weimar feiert am 7. August d. I. sein hundertjähriges Bestehen. Die Festordnung ist folgende:

1. Vorfeier, Montag, den 6. August.

Vormittags 9 Uhr bis abends 9 Uhr: Empfang der Gäste durch den Wohnungsausschuß in dem Beratungszimmer des Seminars. Daselbst Einhändigung der Wohnungskarte, der Tischkarte und der Fahrkarte nach Berka a. I.

Vormittags 10 Uhr bis abends 5 Uhr: Besichtigung der Sehens­würdigkeiten Weimars.

Abends von 7 Uhr ab: Konzert in Werthers Garte»; dabei Begrüßung der Gäste.

2. Hauptfeier, Dieustag, deu 7. August.

Vormittags 8^/, Uhr: Zug des Seminars und des Festaus­schusses mit den Gästen vom Seminargebäude zur Stadtkirche.

Von 9 Uhr ab: Festgottesdienst und Schulfesthandlung (mit Übergabe der Jubiläumsstiftung*) in der Stadtkirche.

Nachmittags von 1^ Uhr ab: Festmahl in den Räumen der Vereinsgesellschaft: dabei musikalische Vorträge.

Abends von 7 Uhr ab: Konzert daselbst.

3. Nachfeier, Mittwoch, den 8. August.

Früh 7 bis 10 Uhr: Weitere Besichtigung der Sehenswürdig­keiten Weimars.

Vormittags 10 Uhr: Konzert in der Stadtkirche.

Nachmittags 1 Uhr: Gemeinsame Eisenbahnfahrt nach Berka a.J. (Die Seminarschulfeier findet an einem erst später zu bestimmenden

Tage statt.i

Die früheren Lehrer und Schüler der Anstalt, sowie alle Freunde und Förderer des L-eminar- und Volksschulwesens werden hierdurch zu dieser Jubelfeier herzlichst eingeladen und ergebenst ersucht, fol­gende Punkte gefälligst beachten zu wollen:

1. Die Anmeldung erfolgt bei Herrn Bürgerschullehrer Reuße, Schröterstraße 23 d hier.

2. Der Anmest wo sind 3 Mark für die dem Angemeldeten zu übersendende Festkarte beizufügen, und zwar unter Angabe, ob Freiwohnung oder Wohnungsbestellung in einem Gasthofe ge­wünscht wird.

3. Gegen Vorzeigung der Festkarte werden jedem Festteilnehmer eine Freiwohnung oder eine zu mäßigen Preisen dargebotene Gasthauswohnung** zugewiesen und die Tischkarte (Freigedeck ausschließlich Wein), sowie die Fahrkarte nach Berka a. I. (kostenfrei für den Extrazug hin und zurück) von dem Em- Pfangs- und Wohnungsausschuß übergeben. Die Festkarte gilt zugleich als Eintrittskarte zu den Konzerten, sowie zu den Sehenswürdigkeiten Weimars. Auch wird für die Inhaber derselben hoffentlich die Gültigkeitsdauer der Rückfahrkarten von den darum von uns ersuchten Eisenbahndirektionen ver­längert. Inwieweit dies geschieht, soll auf der Festkarte be­merkt werden, die dann bei Löfung der Fahrkarten an den betreffenden Bahnstationen vorzuzeigen ist.

4. Die nächsten Angehörigen der Festgäste haben möglichst zu allen Sehenswürdigkeiten freien Zutritt und erhalten gegen ganz billiges Entgelt den Eintritt zu den Konzerten und die Fahrkarte zu dem Ausfluge nach Berka a. I.

5. Die Anmeldungen werden bis spätestens zum 25. Juli erbeten.

Mit dem Wunsche, daß eine recht zahlreiche Beteiligung von alt

und jung an dem Seminar-Jubelfeste stattfinde, und daß alle Fest­genossen recht segensfrohe Festtage hier verleben mögen, zeichnet unter herzlichem Gruße

Weimar, den 1. Juli 1888.

_ Der Festausschuß.

* Freundliche Gaben für die Jnbiläumsstiftung zu Seminarstipendien für Lehrersöhne nimmt Hirr Bürgerschullehrer Neuste, Schröterstraße 23b hier, noch entgegen. Man wolle es entschuldigen, wenn der desfallsige Aufruf an manche Freunde der Anstalt nicht gelangt sein sollte.

' Die Preise der Gasthofswohnungsn stellen sich von 1,25 M. bis über 3 M. täglich für Bett und Morgenkaffee.

Für die Redaktion verantwortlich R. Schillmann in Berlin. L. OehmigkeS Verlag (R. Appelius) in Berlin 8., Kommandantenstr. 55.

Druck von L. E. Frey hoff in Nauen.