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Nr. 137.

Metz, Dienstag den 17. Juni 1913

XXXXIII. Jahrgang.

as Neueste vom Tage.

um Jubiläum des Kaisers.

Ans allen Teilen des Deutschen Reiches wie auch anS ße« Hauptstädten des Auslandes liegen Berichte über )ie stattgefundenen Festlichkeiten ans Anlaß des Kaiser- snbilänms vor. Besonders herzlich gehalten find die Rede» und Preßstimmen in Oesterreich-Ungarn nnd Italien. I« Berlin wurde das Kaiserjnvilänm in glänzender Weife begangen. -

In allen dentschen Bundesstaaten sind Amnestie» bekannt gegeben worden.

Der Grotzherzog Ernst Ludwig non Hessen nnd bei Rhein wurde vom Kaiser zum Chef des Infante­rie-Regiments Graf Barfuß (4. Westsäl. Nr. 17 in Mörchin- ge» ernannt.

Der Reichskanzler empfing am Sonntag den Besuch des Statthalters Grafen von Wedel.

Bei der Jubiläumsfeier der Universität Berlin teilte her Professor für preußische Verfaffungs- nnd Ber- waltungswiffenschaft Dr. Otto H i n tz e in einer Festrede auf Grund einer schon vor Jahren erteilte« kaiserlichen Ermächtigung mit, daß der Kaiser ein politisches Testament des Königs FriedrichWilhelm IV., bas die Thronfolger anfforderte, die Verfassung noch vor der Beeidigung u m z u st o ß e n, bei feinem Regie­rungsantritt habe vernichten lassen. Das Testament war von Friedrich Wilhelm IV. mit der Verfügung hinter« lasten, es jedem Thronfolger ««mittelbar bei seinem Re­gierungsantritt zn übergeben. Kaiser Wilhelm II. aber er­wog, daß die Möglichkeit nicht ansaeschlosten wäre, daß in Zukunft einmal ei« junger unerfahrener Herrscher zur Regierung kommen könnte, ans den dieses Testament doch vielleicht einen verhängnisvollen Eindruck machen könne. Seitdem sei ihm gewesen, als ob er ein Pulverfaß im Hanse hätte und cs habe ihm keine Ruhe gelassen, als bis das Testament vernichtet war.

In der gestrigen Sitzung der Kammer bekämpfte Albert Thomas, Mitglied der geeinigten Sozialisten, die drei­jährige Dienstzeit vom wirtschaftlichen Standpunkt ans. Dieses würde der Landwirtschaft nnd Industrie 208 000 Arbeiter entziehen, welche durch Fremde ersetzt werden müßten, was für die Ostprovinzen eine neue Gefahr be­deute.

Die französische Kammer nahm gestern bei der De­batte über die dreijährige Dienstzeit einen Schlußan, trag mit 435 gegen 125 Stimmen an. Der Sozialist Bail- lant brachte hierauf einen Antrag ein, indem die Auflösung der Kammer gefordert wird. Der Antrag wurde mit 412 aegen 140 Stimmen abgeiehnt nnd darauf die Sitzung ge­schloffen.

Der Leiter des Pariser statistischen Amtes, Vertillon, teilt mit, daß im Jahre 1012 die Ziffer der Geburten ln ganz Frankreich (750 651) die Ziffer der Todesfälle (692 740) nur um 57 011 überstiegen habe. Die Jahre 1911 nnd 1912 seien in dieser Hinsicht die schlechtesten seit dem Jahre 1800 gewesen.

Ans A g a d i r wird unter dem 15. ds. gemeldet, daß die Truppen ohne Zwischenfall und ohne Kampf daselbst ge­landet seien.

Die serbische Regierung hat die offizielle Einladung der russischen Regierung zn einer möglichst baldigen Zn- sammenkunft der vier Ministerpräsidenten nach Petersburg dankbar angenommen. Paschrtfch hat die bereits eiuge- reichte Demiffion des Kabinetts zurückgezogen.

Mehrere wegen des Anschlages gegen Schesket Pascha verhafteten Personen wurden freigelasten, namentlich höhere Offiziere. Nazmi soll nachts verhaftet worden sei«.

DerReichs an zeiger" schreibt in einer Extra­ausgabe zum 16. Juni 19l8r

Getreu dem bei der Thronbesteigung abgelegten Ge­löbnis hat Kaiser Wilhelm II. seit einem Bierteljahrhun- öert feinest HerrscheramteS gewaltet und dem preußischen 'Volke und dem deutschen Reiche den Frieden erhal­ten auf dem sicheren Boden der alten Ueberlieferungen unserer auswärtigen Politik in engem Anschluß an die Verbündeten, dt« der erhabene Wiederhersteller des deut­schen Kaisertums noch im ersten Jahrzehnt dem neuen Reiche und sich gewonnen hat. Deutschlands Verteidi- gungSbund mit Oe st erreich-Ungarn, den des Kaisers erste Thronrede alS ein von der öffentlichen Mei­nung des gesamten deutschen Reiches getragenes Vermächt­nis der deutschen Geschichte bezerchnete, gehört nach mehr als 30jähriger Dauer selber bereits der Geschichte an. Bald nach seinem Abschluß erfolgte feine Erweiterung zum Dreibund mit Italien, der sich als Grundlage und Bürgschaft des europäischen Gleichgewichts bis heute ebenso ununterbrochen bewährt hat. Eine weitere Verstärkung gab Kaiser Wilhelm II. dem Gedanken des Völker- frieöens durch die sorgfältige Pflege seiner persön­lichen Freundschaft mit den Herrschern auch der anderen europäischen Staaten, wie denn die durch den Verlaus unse­rer Geschichte gegebenen friedlichen Beziehungen Deutsch­lands zu Rußland und Großbritannien noch jüngst bei dem erhebenden Feste irr unserem KaiserHause durch die Zu­sammenkunft der drei mächtigen Monarchen neuen Aus­druck erhielten. Während der Gesichtskreis der deutschen Interessen sich in bisher ungeahnter Weise weitete, verlor die innere Politik unseres Kaisers nie die seit alters gegebene Aufgabe aus dem Auge, die Ansprüche und Lebensbedingungen der großen produktiven Erwerbszweige der Landwirtschaft, der Industrie und des Han­dels nnteirmnder in Einklang zu bringen. In gleicher Weise wie zwischen den großen wirtschaftlichen Berufs­gruppen strebte die Sozialpolitik des Kaisers einen Ausgleich zwischen den Kreisen der Unternehmer und Ar­beiter an. Der nationalen Rechtseinheit, deren Herstellung sich der Begründer des neuen Deutschen Reiches zur Aufgabe gestellt, gab der Kaiser durch Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches die Krönung. Seine Aufmerk­samkeit gilt in nicht minderem Maße den Fortschritten derWissenschafi überhaupt, den Forschungsergebnissen und Arbeitsmethoden sowohl der Geistes- wie her technischen und Naturwissenschaften, die dem Kaiser die Vermehrung und Hebung der Technischen Hochschulen und die Gründung großer, ausschließlich in ihren Dienst gestellter Forschungs- Institute verdanken. Durch feine unmittelbare Anregung sind seit den Anfängen seiner Regierung im preußischen Unterrichtswesen den Gymnasien und Nealan st al­ten neue Ziele gewiesen und neue Grundlagen gegeben worden. Was die deutsche K u n st im Zeitalter W-il- Helms II. durch das Interesse und Verständnis des Kaisers an tatsächlicher Förderung erfahren hat, ist durch berufene Vertreter wiederholt aus-gedrückt worden. Der Friede, dessen Segnungen das neue Deutsche Reich seit seiner Be­gründung genießt, konnte sich nur behaupten, weil es der bewaffnete Friede war. Der Heeresvorlage von 1890 haben andere folgen wüsten, sobald es galt, unsere Wehrkraft zu stärken, um sie mit der Erweiterung und Vervollkomm­nung, die die H e e r e s e i n r i ch t u n g e n unserer Nach­barn erfahren haben, gleichen Schritt halten zu lasten. Die stärkste Steigerung aber gewannen die Mittel unserer nationalen Verteidigung durch die vor 25 Jahren von nie­mand vorausgesehene, durch unbeirrbare schöpferische Wil­lenskraft herbergesührte Wendung, daß die Kriegs­flotte, bisher nur ein unbedeutendes Glied unserer Wehrverfafsnng, sich dem altbewährten Landheere als eben­bürtige Streitmacht an die Seite stellte. Das Rcgierungs- jubilänm des Kaisers fällt in das den Erinnerungen an die erhebendsten Zeiten unserer ruhmvollen Geschichte ge­

weihte Jahr. Blicken wir zurück auf die sturwerfüllten Zeiten der großen, fast ununterbrochenen Weltkriege vor hundert Jahren, so erhöht sich unsere Dankbarkeit für die Wohltaten des Friedens und die Dankbarkeit gegen seinen starken Hüter. In jungen Jahren auf den Thron seiner Väter gestiegen, steht der Kaiser heute an seinem Gedenk­tage in voller Manneskrast da, jünger als mehr denn einer seiner erlauchten Vorgänger im Augenblick deS Regie­rungsantritts. Wolle der Allmächtige, der die Regierung Wilhelms II. bisher sichtbar gesegnet, auf lange Jahrzehnte hinaus seine Hand'weiter schützend und segnen- über den Kaiser und das gesamte königliche Haus halten, -um Segen Deutschlands nnd Preußens.

Die Festlichkeiten in Kertin.

(Telegraphischer Bericht.)

W Berlin. 16. Juni.

Der heutige Festtag wurde bei prächtigem Wetter mor­gens um 7 Uhr durch das Große Wecken etngeleitet, welches von den Spielreuten der Zweiten Gardeinfanterie- brigaöe und dem Musikkorps des Gardefüsilierregiments ausgeführt wurde, während das Trompeterkorps des Zweiten Gardeulanenregiments von der Schloßkapellen­kuppe Choräle blies. Eine große Menschenmenge lauschte vom Lustgarten und Schlossplatz aus den feierlichen Klän­gen und wartete auf den Anmarsch der 7000 Knaben und Mädchen der Berliner Gemeinöeschulen, welche gegen 8 Uhr 15 Min. anrückten, um den Majestäten vom Großen Schloßhof aus ein S t ä n ö ch e n zu bringen. In musterhafter Ordnung, geführt von den Lehrern, marschier­ten sie, die Mädchen in weißen Kleidern und mit Blumen­kränzen im Haar, die Knaben mit Schleifen in den Reichs- farben geschmückt, ein. Feierlich klang, dirigiert von Rektor Hoffmann, als erster Chor der ChoralDich seh ich wieder, Morgenlicht." Das frische FestlieöBrüder und Schwe­stern, windet die Kränze", folgte. Ergreifend klang das LiedAus der Jugendzeit". Dann schloß das Programm kräftig mit demDeutschen Lied". Erstaunlich war es, wie rythmisch und dynamisch fein schattiert die einzelnen Chöre zum Vortrag kamen. Nach dem Verklingen des letzten Liedes brachte Oberbürgermeister' Wermuth ein Hoch auf die Majestäten aus, und aus all den jugendhellen Kehlen grüßte ein dreifaches Hurra! Das Kaiserpaar, die Prinz/en und Prinzessinnen des königlichen Hauses lauschten rwn den Fenstern des ersten Stockes den Vor­trägen. TW Nationalhymne folgte, und musterhaft, wie sie gekommen waren, zogen die 7000 Sänger ab unter Tücherschwenken und Hurrarufen hinauf zu den Maje­stäten, die unaufhörlich dankten. Außer dem Oberbürger­meister Wermuth wohnten auch Stadtverordnetenvorsteher Michelet und stellvertretender Stadtverordnetenvorsteher Cassel dem Festakt bei.

Im Lause des Vormittags wuchsen die Menschenmaffen Unter den Linden und in den übrigen Zufahrtsstraßen zum Schloß ins Ungeheure, während die Anfahrt der Deputa­tionen zur Gratulationscour vor sich ging. Die farben­prächtige Ausschmückung der Straßen und die Galauni­formen der anfahrenöen Herren vereinigten sich zu einem reizvollen Bilde. Während oben in großer Höhe über dem Schloß eine Fliegertaube kreiste, empfingen die Majestäten um 10 Uhr im Kapitelsaale die D eputationen, die Adressen und Geschenke überbrachten. Der Kaiser in der Uniform des 1 . Garderegiments zu Fuß und die Kaiserin nahmen unter dem Thronbaldachin Aufstellung. Zur Rech­ten des Kaisers standen die Prinzen, gegenüber den Ma­jestäten bildeten die Hofchargen und Pagen Spalier. Auf der Fensterseite standen die Umgebungen. Zuerst sprach das Staats minist er i um seine Glückwünsche durch den Reichskanzler aus. Im Namen der stimm- führenöen Bevollmächtigten zum B n n ö e s r a t, mit denen wieder der Reichskanzler und Staatssekretär v. Jagow erschienen, sprach Graf Lerchenfeld- das Präsidium des

Reichstages mit den schriftführenöen Quästoren, ge* führt von Dr. Kämpf, das Herrenhaus, mit der» Kammerherrn von Weöel-Piesdorf als Sprecher sowie dis des Abgeordnetenhauses mit dem Grafen von Schwerin-Läwitz schlossen sich an. Weiter folgten die alS Komitee für das Ehrengeschenk der Armee er­schienenen Generalfelömarschälle, Generalobersten und Ge­neräle. Generalfeldmarschall Graf Haeseler über­reichte dabei Seiner Majestät den Feldmarschallstab, den bet Kaiser, der bet jeder Gruppe mit wenigen freundlichen Worten dankte, entgegennahm, indem er hervorhob, daß eS ihn besonders freue, das Geschenk der Armee aus de» Händen eines glorreichen Mitkämpfers seines Großvaters entgegennehmen zu können. Mit dieser Gruppe erschienen Generalfeldmarschall von Bock und Polach, Generaloberst von Pleffen, der Kriegswinister und einige zwanzig Ge­neräle, darunter die Generalobersten von Linöequist, Kessel, General der Kavallerie von Scholz, General der In­fanterie von Moltke. An der Spitze der Marineab- ordnung, die aus dem Großadmiral von Tirpitz und mehreren Admiralen bestand, überreichte Prinz Hein­rich einen silbernen Adler, welcher den Flaggstock der JachtHohenzollern" zieren soll. Die Offiziers- abordnungen des Regiments Garde du Corps, des Ersten Garderegiments, des Leibgarde-Husarenregimenis sowie des Grenadierregiments König Friedrich WU- Helm IV. (i. Pommersches) Nr. 2 schlossen sich an und über- reichten Erinnerungsgaben. Der englische Militärattaches Ruffel überreichte ein Geschenk der Royal Dragons, Ver­treter des deutschen evangelischen Kircheuaus» fchusses mit dem Wirkt. Geh. Rat Voigts als Spre­cher sowie der Erzbischof von Köln, Dr. Hart mann uns der Bischof von Rottenburg, Dr. v. Keppler als Ver­treter der Bischöfe folgten.

Die Reichslanöe ließen durch eine Deputation, bestehend aus dem kaiserlichen Statthalter Grafen von Wedel in Begleitung des Vortragenden Rats, Geheimrat Dr. Dieckhoff, Staatssekretär Frhrn. Zorn v. B u - l a ch, dem Rector Magnificus Professor Frhr. v. Walter s- Hansen, den Vizepräsidenten der Ersten Kammer Dr. Gregoire, Dr. Hoeffel und dem Präsidenten der Zweiten Kammer Dr. Ricklin, ihre Glückwünsche aus- sprechen. Für das Reichsgericht sprach dessen Präsident Wirkl. Geh. Rat Freiherr von Seckendorfs, für iki# Reichsmilitärgericht dessen Präsident General Graf Kirchbach. Die Delegation der British Council of ths Churches zur Pflege freundschaftlicher Beziehungen zwi­schen England und Deutschland wurde vom Mschof Voyö Carpenter geführt. Nachdem Mister Carnegie an der Spitze der amerikanischen Abordnung eine Adresse überreicht hatte, folgten die Abordnnngen aus den Provinzen.

Um 11 Uhr war int Rittersaal Gratulativns- defiliercour. Die Majestäten hatten vor öenr Throne Ausstellung genommen, die Prinzen und Prinzessinnen standen zu Seiten des Thrones, die Hofchargen dem Throne gegenüber. Oberstkämmerer Fürst zu Solms-Baruth und Oberhofrnarschall Graf Eulenburg leiteten die Cour. Nach den Klängen der Musik defilierten die Botschafter und arr- deren Chefs der hier akkreditierten Missionen nebst Ge­mahlinnen, die Prinzen und Prinzessinnen aus souveränen und ueufürstkichen Häusern, die Ritter des hohen Ordens vorn Schwarzen Adler, die Chefs der fürstlichen, ehemals reichsständigen gräflichen Häuser, die in aktiver Dienst­stellung befindlichen Exzellenzen, Herren vom Militär und Zivil, sämtlich mit ihren Gemahlinnen, die Gemahlinnen der Hofchargen, sowie Deputationen der in Berlin und Potsdam garnisonierenden Leibregimenter. Die Damen trugen Promenadeutoilette mit Hut.

Bei dem Empfange im Kapitelsaal des Schlos­ses waren u. a. erschienen: Vertreter der Proviuzialver- bände, der Hauptstädte und anderer Städte, sowie der Land­schaften usw. Nach Ostpreußen, das auch durch eine AS- ieilung Litauer vertreten war, folgte Westpreußen und Brandenburg. Für Berlin sprach Oberbürgermeister Mer­muth, für Chavtottenburg, Potsdam' und Werder die Bürger- bzw. Oberbürgermeister. Dann folgten die Ver-

L4 (Nachdruck verboten.)

Irmengard.

Roman von Georg Hartwig.

Frau von Passevini, an der Seite ihres Gastes, des Prinzen Liebenstein, stand trotz des liebenswürdigen Lächelns, welches ihre Lippen umspielte, wie auf Kohlen. Eine Minute nach der anderen verstrich, und die Marchesa erschien nicht. Die fragenden und erstaunten Blicke der erwartungsvollen Gesellschaft begannen sich allgemach wie Dolchspitzen in das Herz der Baronin zu bohren. Der Prinz, durch Zufall in Kenntnis gesetzt von der Anwesenheit etner Anverwandten seiner schönen Wirtin, wandte sich so­eben bedauernd zu dieser.

Mir scheint, Frau Baroniu, wir müssen für heute das Bergungen entbehren"

Da öffneten sich die Flügeltüren. Frau von Passevini atmete auf vor Erleichterung, während sich über die ganze Gesellschaft ein Schweigen der Erwartung legte. Eine Se­kunde verstrich. Dann ging ein wundersames Raunen und Rauschen durch die Gruppen. Die Marchesa di Caffero hatte den Salon betreten.

Welche Vermutungen auch über die junge Dame laut geworden waren, nicht eine streifte die hier in Erscheinung tretende Wahrheit. Wohl lag über diesem durchsichtig blei­chen Antlitz mit dem großen, leuchtend schwarzen Augen­paar und den schmalen, roten Lippen ein Zug von Melan­cholie, aber nichts, was an Selbstüberhebung erinnerte. Die zarte, vielleicht zu schlanke Gestalt mit der erhobenen Kopf­haltung und den gleichmäßigen Bewegungen trug den Stempel herber Jungfräulichkeit, aber die wunderliebliche Form der Hände, des Nackens und der eigentümlich schmalen Füße verlieh der Marchesa den Zauber mädchen­hafter Anmut.

Sie war zum Entsetzen der Baronin in ein hoch hin- kufreichendes schwarzes Sammetgewaud gekleidet, dessen majestätische Schleppe für ihre Figur fast zu schwer erschien. Ihr nachtsarvenes, bläulich schimmerndes Haar war in schlichten Flechten um den schön geformten Kopf geordnet; statt der Blumen leuchtete ein großer Stern von Rubinen darin auf, ein zweiter funkelte an ihrer Brust 7 sonst war jeder Schmuck verschmäht.

Herr von Passevini eüfe seiner Nichte mit Zuvorkom­menheit entgegen und geleitete sie zu seiner Gattin.

Die Marchesa, sich tief vor dem Prinzen und ihrer Taute verneigend, ergriff die Hand der Baronin

iiüiltc >ie nn'ifivc'givvcH.Ich bitte um Verzeihung für

mein langes Ausbleiben ein Schwindelanfall hielt mich auf."

Frau von Passevini, durch dieses taktvolle Benehmen nunmehr ganz zufriedengestellt, stellte ihre Nichte mit tadelloser Liebenswürdigkeit der nächsten Umgebung vor. Marchesa Gaetannina di Cassero!"

Fast in demselben Moment wurden die Türen zum Speisesaal geöffnet, und mit einem bewundernden Aus­ruf über die eigenartige Schönheit der Marchesa reichte der Prinz seiner Wirtin den Arm. Der Aufbruch zur Tafel ordnete sich schnell.

Der Legationsrat winkte Freiberg aus dem anstoßen­den Gemach zu sich.Kommen Sie, ich will Sie meiner Nichte, Ihrer Tischnachbarin, vorstellen."

Der Graf folgte. Jetzt wandte sich die Marchesa.

,Mraf Freiberg Marchesa Gaetannina Li Cassero!"

Herr von Passevini bemerkte es in der Eile, mit welcher er sich entfernte, nicht mehr, daß der Graf die Augen schloß und nach der Lehne eines.Sessels griff, während Gae­tannina mit weit geöffneten Augen an seinen Zügen hängend einem Marmorbild ähnlicher sah, als einem atmen­den Menschen.

Gaetannina," flüsterte er wie im Traum.Es ist ja nicht möglich, es kann nicht sein!"

Sie faßte sich.Wir dürfen nicht länger verharren Ihren Arm, Graf Freiberg!"

Er fühlte ihre Hand leise erbeben. Eine Beklemmung ohne Gleichen erfaßte ihn.Gaetannina, sprich ein Wort, bist du meine erste, die heilige Liebe meiner Jugend?"

Sie nickte stumm.

O Gaetannina Gaetannina!" sagte er gepreßt mit dem Ausdruck tiefster Verzweiflung. Der Gedanke an Irmengard lastete wie ein Alp auf IHrn. Er wagte es nicht, Gaetannina ins Auge zu sehen. Die Worte, welche er sprechen wollte, erstarben auf seiner Zunge.

Stumm, bleich saßen sie neben einander, nur wenn ihr Blick die Züge deS Geliebten streifte, leuchtete ein wunder, bares Flammen und Glühen in de» tiefen schwarzen Sternen auf.

Da der Graf anscheinend seine Pflicht akS Tischnachbar arg vernachlässigte, versuchte es ei« junger Attachee, die Aufmerksamkeit der Marchesa auf sich zu lenken, aber da trat jener herbe Zug um ihre Mundwinkel so grell hervor, daß Freiberg erschrak. Wie mußte dieses weiche, leiden­schaftliche Kinöerherz gemartert worden sein, bevor die vollen, schwellenden Lipen, welche so oft an den seinen ge­hangen, ein so hoffnungsloses Zusammenpresten gelernt! Während sie sich Entsagung aufgezwungen und ihm helden­mütig Treue bewahrt was hatte er Inzwischen getan?.

Nun war Gaetannina frei, und er gefesselt, ach, und mit Banden, die ihn schmerzten, ohne ihn ferner zu beseligen!

Als er mit dem Gefühl eines Verbrechers die Tafel­runde überschaute, entging ihm die Bewunderung nicht, mit welcher der Prinz sich bemühte, ein Gespräch mit der Marchesa anzuknüpfen. Es wurde ihm heiß im Herzen, als er dessen sanfte, einschmeichelnde Stimme zu sich her- übertöneu hörte, jedes Wort eine versteckte Huldigung, ein galanter Scherz.

Zu Frau von Passevini's Entzücken entfaltete Gaetan­nina in ihren Erwiderungen so viel Geist, daß die Baronin nicht umhin konnte, in die Lobeserhebungen des Prinzen einzustimmen. Die Person des Grafen verlor für sie auch die letzte Bedeutung, da ihre Nichte auch ohne ihn Unter­haltung und Anerkennung fand.

Die Marchesa bezeugte, wie sehr Selbstbeherrschung ihr zur zweiten Natur geworden war, indem sie ohne Zögern dem Wunsch des Prinzen entsprach, im Salon den Kaffee neben ihm einnehmen zu wollen. Mochten Herz und Sinne auch eine Aussprache mit Freiberg heiß ersehnen, nicht eine Wimper ihres bleichen Antlitzes zuckte Sei der anregenden Plauderei, welcher sich der Prinz mit vollem Genüsse hin- gab. Es war, als ob sie nur das Sprachrohr eines fremden Geistes sei, ein Transparent für eine fremde innere Flamme, erleuchtet und doch kalt, farbensprüyend und selbst tot.

Der Prinz emfand dies sehr wohl und daneben einen unsäglichen Reiz, diese schöne Statue belebt zu sehen, ein Verlangen, das sich bis zu dem Wunsche steigerte, sie selber beleben zu können. Er versuchte es, sich über einen Mangel an Aufmerksamkeit bei ihr zu beklagen, indem er bedauerte, ihrer Landessprache nicht mächtig zu sein, da auch die ge­wandteste Uebertragung in fremde Idiome niemals dem Inhalt deS Originals entspräche.

Sie schaute ihm mit überlegener Ruhe in das leb­haft gerötete Antlitz.Zwei Sprachen gibt es, Hoheit, die überall gleich lauten und verstanden werden: Wissenschaft und Wahrheit!"

Der Prinz lächelte.Was ist Wahrheit? Ein Phautasie- gesptnnst wie hundert andere schöne Dinge. Und Wissen­schaft? Du lieber Himmel, gibt es etwas Trügerischeres, als diesen Wirrwarr streitender Meinungen, die man Wissen­schaft nennt? Nein, es gibt nur eine Uuiversalsprache: die der Liebe und in Ihren Jahren, Marchesa, und bei Ihren Gaben sollte diese stets den Vortritt haben."

Weshalb?" fragte sie noch kühler, und wieder trat der herbe Zug um ihre Mundwinkel grell hervor.

Schon deshalb, weil die Zusammenstellung der Liebe mit der WiLeMM.«ist« verzeihen Kse, Marckelal Lwx

ketzerung, um nicht zu sagen, Blasphemie ist. Liebe und Wissenschaft sind wie Sonne und Mond. Wo die Liebe leuchtet in ihrem himmlischen Glanze, schwindet das arm­selige Mondlicht der Bücherweisheit in sein Nichts dahin. Unter dem Mond reift keine Aehre, nicht der kleinste Halm. Sowie die Sonne darauf strahlt, sprießt Alles im Menschev- £k '. Hervor, was die Natur darin eingeschlossen hat. Da­her können wir die Wissenschaft zu unserem Glück ent­behren, die Liebe nicht. Was haben Sie darauf zu sagen, Marchesa?"

Daß Beides," ihre feingeschweiften Nasenflügel bebten leise,eitel ist, wie alles auf Erden. Glauben Sie, Hoheit, daß man im Kloster über solche Dinge ein anderes Urteil füllen lernt, als im Getriebe der Welt?"

Bor allen Dingen erhält man ein falsches Bild," er­widerte er lebhaft,ungefähr, als sähe Jemand ein Gewit­ter zum ersten Male in verschlossener Stube mit au. Müßte er nicht glauben, die Welt ginge draußen in Flammen auf urrd der Donner zerbräche das Erdreich? Geht man aber furchtlos hinaus, so ist die Sache ungefährlich, so ungefähr­lich, meine schöne Marchesa," sagte er leiser,wie die Stürme der Liebe."

Wer sich darauf verläßt, könnte leicht erschlagen wer­den, Hoheit," erwiderte Gaetannia mit kühlem Spott.

Ah, nutzlose Angst! Am Liebeshimmel jedes Menschen zuckt hie und da ein Blitz auf, aber er erlischt wirkungslos, man hat keinen Schaden davon."

Nun, und?" fragte die Marchesa sehr gedehnt, ihm voll ins Antlitz sehend.Tie Nutzanwendung?"

Schlägt der elektrische Funke wahrer Zuneigung end­lich wirklich ein, so ist man eben tot für die Außenwelt," schloß der Prinz mit feiner Bedeutung.

Ja so!" Gaetannina neigte das Haupt. Sie fühlte sich beengt, gequält in dieser unwillkommenen Gefangenschaft, umsomehr, als sie Freibergs Gestalt nicht wehr im Salon bemerkte. Zum Glück näherte sich jetzt die Legativ-rtsrätin -ihrem erlauchten Gast und nahm anmutig dankend den Platz ein, welchen Gaetannina ihr zur Verfügung stellte.

Eine Regung des Unwillens ging durch die gesamts weibliche Jugend, als die Marchesa, ohne Notiz von ihrem Kreise zu nehrneu, langsam in dem angrenzenden Bou­doir der Hausfrau verschwand. Tie Fürstin Melnikoff, ohnehin in der berechtigten Erwartung betrogen, von dem Prinzen ausgezeichnet zu werden, betrachtete die schöne Be­vorzugte mit feindseligen Blicken, denn sie bemerkte gar wohl, daß sämtliche Kavaliere ihre Aufmerksamkeit auf die Italienerin richteten, bis auch der letzte Saum der schwar­zen Sammetschleppe verschwunden war.

tForrsetzutig jolgt .1