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Nr. 138.
Erscheint täglich mit Ausnahme der Sonn- und Feiertags mü der unentgeltlichen Uustrierten Beilage „Sonntagsblatt". Bezugspreis vierteljährlich (im Voraus zahlbar) im Gebiete der deutschen Poswerwaltung Mark 2,80; mit dem Beiblatt „Metzer humoristische Blätter" Mark 3.40. — Fürs Ausland Mark 7.50 bezw 8.10.
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Metz. Mittwoch den 18. Juni 1913
XXXXIH. Jahrgang.
ZNIN SttWISmit des Akerisevs.
Das Neueste vom Tage.
Die Jubiläumsfestlichkeiten in Berlin nahmen am gestrigen Tage ihren Fortgang. Um 121 Uhr empfingen der Kaiser und die Kaiserin im Pfeilersaal der kaiserlichen Wohnnng die Bnndesfiirste« und Präsidenten der Senate der Freien Städte.
Der Vnögetkomrnission, die honte früh ihre Beratungen Mieder aufnimmt, kann ein fertiges Kompromiß nicht vorgelegt werden, da sich dessen endgültiger Formulierung gewisse Widerstände entgegenstellten. Aber man wird bei den weiteren Beratungen in der Kommission an den bisher in Aussicht genommenen Grundlage» festhalten, hoffend, ans sie Vielleicht doch noch eine Mehrheit vereinigen z« können.
Aus Esch (Alzette) wird gemeldet: In der vorigen Nacht wurden bei einem Streite zwischen Deutschen und Luxemburgern mehrere Revolverschüffe gewechselt. Dabei wurde ein gewisser Fontaine getötet nnd eine andere Person schwer verletzt. Der Mörder wnrde verhaftet.
Das österreichische Abgeordnetenhan s verhandelte gestern über das Bndgetprovisorinm. Bon dem Präsidenten war für den Beginn der Sitzung eine Kundgebung anläßlich des Jubiläums des de Nischen Kaisers geplant, die jedoch infolge desEin spr«chs von slawischer Seite unterblieb. Nach dem Schluß der Sitzung teilte der Obmann des Deutschen Nationalverbanbes Dr. Groß mit, daß er das Jnbilänm des Kaisers zur Sprache bringen werde. — Der Präsident des Abgeord, netenhanses Dr. Sylvestre besnchte die deutsche Botschaft, «m die Glückwünsche des Hanfes ansznsprechen.
Zn dem in Mailand ansgevrochenen Generalstreik wird gemeldet: In einer Versammlung der Ansständigen wurde der Vorschlag der Kommission, die Arbeit wieder anfznnehmen, nach zweimaliger Ablehnung angenommen.
Einer Pariser Blättermeldnng zufolge mangelten den Besatzungen der Panzerschiffe während der jüngsten Manöver der Mittelweerflotte durchschnittlich je hundert Mann. Die Flotte, die nach dem Marinebnöget 58.205 Mann anfweisen sollte zähle in Wirklichkeit nicht ganz 85 606 Mann. Die Marineverwaltnng werde genötigt sein, die fehlenden 3301 Mann unter den Rekruten des Landheeres zn finden._
Aus Petersburg wird gemeldet: Der Minister des Rentzern S a s s o n o w erschien heute nicht, wie erwartet, in der Neichsönma, da er an Nierengries erkrankt ist.
Wie ans Barcelona gemeldet wird, fand daselbst eine große Strätzenkundgebnng gegen den marokkanischen Feldzug statt. Die Polizei schritt gegen die Manifestanten ein, die auch Hochrufe auf die Republik ansbrachten, und nahm 26 Verhaftungen vor.
Die Blätter Sofias fordern die Regierung ans, dem Streitfall mit Serbien dadurch ein Ende zu machen, daß sie den Vertrag auf diplomatischem Wege oder mit Waffengewalt voll zur Geltung bringen. — Rußland hat die Ministerpräsidenten der Balkanstaaten z« einer Zusammen- krrnft nach Petersburg eingeladen. Die Konferenz dürfte znstandekowmen. _
Ans Konstantinvpel wird gemeldet: Die Obersten Fead Bey und Kemal Bey sowie der Hanptman« Frik und noch ein anderer Hanptmann wurden im Zusammenhang mit der Ermordung Schesket Paschas verhaftet. — Die „Agenzia Stefani" meldet ans Athen: Der italienische Dampfer „Serbin" ist im Piräus eingetroffen. Hier gingen drei in den Anschlag gegen Mahmud Schesket Pascha verwickelte Personen von Bord, die sich in Konstantinopel eingeschifft haben, nnd nunmehr nach C y p e r n zn gehen wünschten. Einer blieb noch an Bord der „Serbin".
Die Festlichkeiten in Kerlin.
(Telegraphischer Bericht.)
W Berlin, 17. Juni.
Auch der Heutige zweite Tag des Kaiserjubiläums war von herrlichem Wetter begünstigt. Der Kaiser unternahm um 7 Uhr morgens einen längeren Spazierritt und nahm nachher mit der Kaiserin das F r ü h st ü ck in dem kleinen nach der Spree zu liegenden Gärtchen des Königsschlosses ein. Um 10% Uhr nahm der Kaiser das Ehrengeschenk der Offiziere entgegen, die vor 25 Jahren bei den Leibgarde-Husaren gestanden hatten. Die Deputation bildeten Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg. Fürst Reuß, der Herzog von Schleswig- Holstein, General ä la suite v. Chelius.
Der Festzng der Innungen.
Angelockt durch das prächtige Hohenzollernwetter, hatte sich eine gewaltige, sommerlich gekleidete Menschenmenge Unter den Linden, im Lustgarten, auf den Dächern des Zeughauses, des Museums und des Domes angesawmelt, um den Festzug der Innungen zn sehen, der vom Königsplatz durch die Linden kommen sollte, um dem Kaiser zu huldigen. Gegen 11 Uhr ertönten Trommelwirbel von den Linden her, eine weiße Wolke wälzte sich heran. Sobald der Festzug die Schlotzbrücke passierte, setzte die Musik mit der Nationalhymne ein. Der Kaiser mit seinen Söhnen und mit dem jungen Paar erschien auf dem Balkon des zweiten Stockes. Ein Herold zu Pferde eröffnete den Zug. Eine Gruppe der Bäcker, ganz in Weiß mit Riesenbretzel, folgte. Festwagen, Fahnen, Musikchöre, Herren iw schwarzen Rock mit blauen Schärpen, Lehrlinge, Gesellen in Arbeitstracht wechselten. Der Kaiser, der sichtlich in fröhlichster Laune war, winkte besonders den hellgekleideten Mädchen im Festwagen zu. Ein Hoch nach dem andern schallte hinauf zu dem Monarchen, der unaufhörlich salutierte. Stürmische Heiterkeit erregte im Zuge der Bäcker, der einen aus Teig gebackenen „Ersatz Zeppelin I" trug. Eine Innung folgte Her andern. Da kamen Friseure, Heilgehilfen, Böttcher, Buchbinder, Drechsler mit einem Riesen- schachsptel, Schneider mit gezogenem Degen, den auch die Bäcker trugen. Besonders reizvoll war der Wagen der Fischer, mit einem riesigen Netz bespannt. Fischergeselleu, als Matrosen gekleidet, trugen geschmückte Fischkästen und riesige Netze. Jede der 17 Gruppen vorüber unter dem Vorarrlritt eines Musikkvrps. Die Glaser nrit bunten Glas- senstern und einer gesprungenen Fensterscheibe, die Goldschmiede mit einem Festwagen, den Ehrenjungfrauen in mittelalterlicher Kleidung schmückten, Lehrbuben mit silbernen Pokalen flankierten die beiden Seiten.
Ein wahres Kunstwerk war der Wagen der Klempner und Kupferschmiede, dem zwei Ritter mit blitzendem Harnisch voranritten. Die Konditoren zeigten einen riesigen Baumkuchen. Schier unabsehbar wälzte sich der Zug heran und die Sonne brannte. Es folgten die Lackierer; die Köche mit Löffeln und Kelle. Großen Jubel unter dem Publikum und bei den Fürstlichkeiten erregten die weißgewascheuen Schornsteinfeger in schwarzer Tracht. Die Maler und Tapezierer zogen mit einem riesigen Sofa vorüber; die Schlosser erkannte man an Hämmern und Zangen und einer kunstvoll gearbeiteten Kassette. Ein von 6 Pferden gezogener Wagen führte einen 6 Meter hohen Schlüssel in der Mitte. Bet den Schlossern folgte in einem besonderen Wagen, von zwei Ehrenjungfrauen begleitet, der 101 Jahre alte Meister Fritzsch. Den Schmieden wurde ein Hufeisen vorangetragen. Die Schuhnracher zeigten Stiefel aus allen Jahrhunderten, darunter in riesigen Schnabelschuhen die Entwickelung des Handwerks. Besonders glänzend war der Zug der Tischler, dessen drei Fcstwagen auch bei dem Kaiser große Freude erregten. Die Wanderburschen in den Trachten der Biedermeierzeit wurden viel bejubelt. Die Wagenbauer zeigten an einem Miniaturmodell eines alten Neisvwagens und eines modernen Automobils den Fortschritt der Zeit. Ein
riesiges, mit einem Musikkorps besetztes Automobil, leitete die Gruppe der Fuhrherren ein. Ein Frachtwagen von Anno 1813 sowie die übrigen altmodischen Vehikel gefielen' sehr, besonders aber erregte ein einsam dazwischen wandernder Hanöwerksbursche überall stürmische Heiterkeit. Zwei guirlanöengeschmückte, moderne Antoomnibusse mit Beamten in Uniform brachten in dis Gegenwart zurück und schlöffen den Zug, der eine Stunde gedauert hatte. Nach einem von dem Publikum ausgebrachten Hurra auf den Kaiser verließen die Fürstlichkeiten den Balkon. Sofort begann die Anfahrt der Bunöesfürsten in Galakarossem Das Eintreffen der Bnnöesfürsten.
Um 11 Uhr 10 traf der Großherzog von Mecklenburg- Strelitz auf dem Stettiner Bahnhof ein und wurde vom Prinzen Eitel Friedrich empfangen. Er nahm im königlichen Schlosse Wohnung. In seinem Gefolge befinden sich Flügeladjntant Major v. Krell, Oberleutnant v. Bülow.
Der Großherzog von Mecklenburg-Schwerin traf um 11 Uhr 3 aus dem Lehrter Bahnhof ein und wurde vom Prinzen Adalbert empfangen; er nahm Wohnung im krön- prinzlichen Palais. In seinem Gefolge befinden sich Flügel- Mutant Oberstleutnant Freiherr v. Heintze nnd Hanptmann v. Witzendorf.
Der König von Sachsen kam um 1 Uh" 20 auf dem Anhalter Bahnhof an und wurde vom Kronprinzen empfangen. Er nahm im königlichen Schlosse Wohnung. In seinem Gefolge befinden sich Hausmarschall v. Mctzsch- Reicheirbach, Generalmajor v. Tettenborn, Flügeladjutant v. Metz sch.
Empfang der Bundesfttrsten.
Um 121 Uhr empfing das Kaiserpaar im Pfeilersaal der kaiserlichen Wohnung die B u n ö es f ür sten und die Präsidenten der S e n a t e der H a n s a st 6 ö t e.
Hierbei hielt Ser Prinzregent Ludwig von Bayern folgende Ansprache:
„Eure Kaiser!, und König!. Majestät! Ganz Deutschland begeht in festlicher Stimmung den Tag, an dem Eure Majestät auf ein 25jähriges segensreiches Walten als deutscher Kaiser nnd König von Preußen zurückblicken. Die deutschen Gundesfürsten und die Vertreter der Senate der freien nnd Hansestädte, die mit dem führenden Bundesstaate Preußen in engster, unauflöslicher Gemeinschaft im deutschen Reiche vereinigt sind, fühlen sich in erster Linie berufen, dieser freudigen Stlnnnnng feierlich Ausdruck zu gebtzn. Sie haben sich deshalb heute hier versammelt, um Eurer Majestät die wärmsten Glück- und Segenswünsche öarznbringen. Als im Jahre 1888 der Gründer des neuen deutschen Reiches, Eurer Majestät unvergeßlicher Herr Großvater, reich an Jahren, reicher noch an großen Erfolgen, heimgegangen und die Heldengestalt Kaiser Friedrichs allzu früh und viel beklagt dahingeschteden war, haben Eure Majestät in jungen Jahren mit hohem Idealismus und ernstem Pflichtbewnßtsein die Würden und Aufgaben des Königs von Preußen und deutschen Kaisers angetrcten. Allzeit Mehrer des deutschen Reiches zu sein, nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern an Gütern und Gaben des Friedens auf dem Gebiete nationaler Wohlfahrt, Freiheit ud Gesittung, das hat Eurer Majestät hochseliger Herr Großvater in der Geburtsstunde des deutschen Kaisertums als Leitsatz für sich und seine Nachfolger verkündet. Diesem hohen Ziele, das Eure Majestät nach Uebernahme der Regierung in der Thronrede vom 25. Juni 1888 vor versammeltem Reichstage sich zu eigen gemacht haben, sind Eure Majestät all die Jahre her unbeirrt treu geblieben. Eure Majestät haben sich in der Führung der auswärtigen Politik des Reiches wie im Innern stets aufs neue als Wahrer des Friedens bewiesen, immer darauf bedacht, dem Reiche die Stärke zu sichern, die eines ehrenvollen Friedens Gewähr ist. Glänzend ist der wirtschaftliche Aufschwung, den Deutschland in diesen 25 Frieöensjahren genommen und der in allen Teilen des Reiches nnd in allen Schichten der Bevölkerung die Zunahme des Wohlstandes gebracht
hat. Umfassend und sorgsam wurden die sozialen Einrichtungen zum Wohle der arbeitenden Klaffen erweitert und ausgebaut. Die Wehrkraft des deutschen Reiches ist in nie ermüdender Arbeit gepflegt und gefördert worden. Insbesondere hat sich die Marine unter persönlicher Initiative« Eurer Majestät ans kleinen Anfängen zu achtunggebietender Stärke entwickelt. Was an sittlichen Kräften, was an Edlem und Schönem im deutschen Volke lebendig ist, konnte der Aufmunterung durch Eure Majestät sicher sein. Den Blick auf das Ganze und Einigende gerichtet, haben Eure Majestät den Wert und die Bedeutung der Einzelstaaten im verfassungsmäßigen Organismus des Reiches nicht verkannt. Die Erhaltung der ihnen für die Förderung ihrer Kultnraufgaben unentbehrlichen Lebenskraft, ihre Rechte und Interessen durften des kaiserlichen Schutzes sich erfreuen. Hierfür wie für alles, was Eure Majestät in diesen 28 Jahren zum Vesten unseres großen Vaterlandes erstrebt und geleistet haben, möchten die deutschen Bunöesfürsten und die freien und Hansestädte in dieser Stunde ihren freudigen Dank zum Ausdruck bringen. Als äußeres Zeichen unserer Gefühle und Gesinnungen bitten wir Eure Majestät, den Tafelaufsatz hulövollst entgegenzunehmen, den wir einstweilen im Entwurf hier zu überreichen uns gestatten. Das Schiff, das er darstellt, umrahmt von den Wappenschildern der deutschen Bundesstaaten mit dem Reichsadler aus schwellendem Segel und der Kaiserkrone als Schifsszier, soll ein Symbol sein der Einigkeit der deutschen Fürsten, der freien und Hansestädte, des ganzen deutschen Volkes, der unerschütterlichen Einigkeit, die des deutschen Reiches Macht und Glanz nach außen und im Innern für immer verbürgt. Möge dem Schiffe des deutschen Reiches unter Eurer Majestät starker Führung wie bisher ans viele, viele Jahre glückhafte Fahrt beschieden sein! Möge Gottes Gnade und Segen auf Eurer Majestät, auf der huldreichen Kaiserin und auf dem ganzen in reichster Blüte stehenden Hohenzollernhause ruhen! Unsere Glückwünsche an diesem Festtage, unsere Segenswünsche für die Zukunft der Regierung Eurer Majestät fassen wir zusammen in dem Rufe: Se. Maj. der deutsche Kaiser und König von Preußen Wilhelm II. lebe hoch!"
Auf die Rede des Prinzregenten Ludwig von Bayern antwortete Se. Maj. der Kaiser folgendes: „Eure Kgl. Hoheit und alle hier vereinten erlauchten Vundesfürstem die hohen Vertreter der freien und Hansestädte bitte ich für die Mir bereitete Ehrung Meinen innigen Dank entgegenzunehmen. Von Herzen und mit Freude danke Ich für die kunstreiche Ehrengabe, die unter einem Mir besonders willkommenen Bilde Deutschlands einige Stärke und den Wert aller Glieder des Reiches für unsere Macht und Größe vor die Augen führt. Die durch die Bundesverträge umschlossene Vielgestaltigkeit unseres staatlichen Lebens bedeutet einen nationalen Reichtum, dxgr nach innen wie nach außen zn schirmen, Ich als Meine erhabene kaiserliche Pflicht erkenne. Wenn die Erfüllung dieser Ausgabe, an die Ich in jungen Jahren nach dem Vorbild der beiden unvergeßlichen ersten Kaiser hcrangetrcten bin, in der seither verflossenen Zeit gelungen ist, so war dies nur möglich dank der Unterstützung, die Ich bei Meinen hohen Verbündeten gefunden habe. Eure Kgl. Hoheit haben der reichen Entwickelung zu gedenken geruht, die uns mit den Segnungen des Friedens während der letzten 25 Jahre vergönnt war. Wir sind vorwärts gekommen, wie in Heer und Flotte, so auch in der Landwirtschaft und der Industrie, in Handel, in Schiffahrt und Verkehr, in Wissenschaften und Technik, in den Künsten und — auch das ist wichtig — in den körperlichen Uebungen. Fern liegt Ntir der Gedanke, als Verdienst für einzelne in Anspruch zn nehmen, was Gesamtleistungen der Ratton sind. Wenn aber Eure Kgl. Hoheit so freundlich Meinen Altteil an Deutschlands Vorwärtsstreben erwähnt haben, fs drängt es Mich, hier zu bezeugen, mit welcher Dankbarkeit Ich die vielen Jahre hindurch verfolgt habe, daß alle Bnndesfürsten und die Regierungen der freien und Hansestädte, jeder in seinen Gebieten, jeder im eigenen Bereich, mttgearbeitel haben wie an der Erstarkung unseres nationalen Lebens, so auch an dem wirtschaftlichen Aufschwung des Reiches und
85 (Nachdruck verboten.)
Irmengard.
Roman von Georg Hartwig.
„Der Durchgang der Venus!" lispelte die Fürstin ihrer Nachbarin boshaft zu.
Gaetannina, das kleine Gemach durchschreitend, öffnete die Flurtnre, um in den oberen Stock zurückzukehren, als der Graf ihr im Korridor entgegentrat.
„Schenken Sie mir wenige Minuten Gehör, ich bitte darum. Nein, ich verlange es," fuhr er leidenschaftlich fort, als sie das Haupt schüttelte, „denn ich habe ein Recht dazu, Sie selbst gaben es mir!"
Die Anwesenheit eines Dieners zwang sie, ihren Arm ln den seinen zu legen. „Lassen Sie uns in den kleinen Wintergarten gehen."
Er führte sie auf einem Umweg bis zu dem zierlichen, mit raffinierter Geschicklichkeit ausgenützten Anbau, welcher in seiner räumlichen Ausdehnung einest: großen, aber schmalen Gemach entsprach. Dieses kleine Bijou, wie die Legationsrätin ihr Werk nannte, lag an der Breitseite des Empfangssalons, nur etliche Stufen tiefer, und war mit diesem durch eine jetzt offen stehende Türe verbunden. Es lag also nichts Auffälliges darin, wenn Gaetannina nnd der Graf im Wintergarten verweilten.
Freiberg bemerkte mit Befriedigung, daß augenblicklich sich niemand darin befand. Er führte die Marchesa zu einer der niedrigen, offenen Polsterwände, auf welcher sie Platz nahm. Vergebens haschte er nach einem einleitenden Wort, aber sie kam ihm zuvor.
„Zunächst sollen Sie erfahren, wie ich der dunklen Klosterzelle entfloh. Warum stehen Sie so fern von mir? Glauben Sie, daß alle Gäste drinnen ein so lebhaftes Interesse an der lebendig begrabenen Gaetannina nehmen, wie Sie, dann will ich laut sprechen!"
„Nein, nein! O, ich —I" Er rollte einen Sessel in ihre Nähe, ohne es zu wagen, die reizende Hand, welche ihm so patze lag, zu berühren.
Gaetannina erzählte in schlichten Worten, wie die Oberin des Klosters Erbarmen mit ihrer Verzweiflung gefühlt und den Termin der Einkleidung, ungeachtet alles -Drängens ihrer Mutter, immer hinauszuschieben gewußt gNabe, bis aus dem einen Probejahr fast deren drei ge- vowröeu, daneben habe sie allerdings mit allen Mitteln der Muüte und Strenge versucht, Lebensfreude und Liebes- wermsucht in Gaetanninas Busen zu ersticken. Das Erstere ketzteihr gelungen, das Zweite nicht, will Oicr lchwica die Marchesa und beriete einen durch
dringenden Blick auf das abgewandte Antlitz des Grafen. „Wenn ich außer Selbstbeherrschung noch etwas lernte in den geheiligten Räumen, so war es Menschenkenntnis. Das klingt paradox, und dennoch ist eS wahr! Ein unbarmherziger Gott gab mir als bitteren Ersatz für den vernichteten Lebensmut die Gabe, im Menschenherzen zu lesen wie in einem Buche, und in Ihrem Herzen —"
„Nicht weiter, Gaetannina, nicht weiter, ich beschwöre Sie!" rief der unglückliche junge Mann heftig.
Die Marchesa fuhr herbe fort. „Plötzlich endete ein Schlagfluß das Leben meiner Mutter. Ich habe ihr nicht nachgetrauert, aber ich habe sie beneidet. Am Tage ihres Begräbnisses trat die Domina zn mir und sagte: „Ich Habe mit den Oberen Rücksprache genommen, du bist nicht reif für ein Leben in Jesu. Geh' in die Welt zurück, die nur Kampf und Enttäuschnngen bietet, aber denke daran, daß deiner hier ein Asyl harrt, wenn du an vir erfahren haben wirst, was mein Herz einst brach!" So kam es, daß ich, ein unheimlicher, surchterweckeuder Gast, meiner Familie zurückgegeben ward. Mall hatte sich so schön daran gewöhnt, mich lebendig eingesargt zu wissen, daß ein Ruf des Schreckens meine Wiedergeburt begleitete. Ein gewisser Heiligkeitsgeruch, der mir voranging, sowie der Verdacht asketischer Klostergelehrsamkeit zogen der guten Baronin beinahe ein Fieber zu, als der Arzt in Florenz meinem Onkel diese Luftveränderung als unabweisbar notwerrdig ans Herz legte."
„Sie waren krank?" fragte der Graf tödlich erschrocken, als er die Marchesa ihre Hände schmerzlich gegen die Brust -rücken sah. „O Gaetannina, nur in diesem Augenblick noch gönnen Sie mir ein Recht, für Sie zu zittern!"
„Es gab eine Zeit," flüsterte sie und eine wunderbare zarte Röte überflog ihre Wangen, „da glaubte ich, -er Dust der Rosen eines verschwiegenen Gartens müsse mich genesen lassen, daS Säuseln freundlich schirmender Pinien müsse mein fieberndes Blut kühlen, im An schauen weißer Lilien, den Zeugen kurzer Seligkeit, wollte ich wich glücklich träumen, ans dem Rauschen deS Stromes entschwundene Wonnen zurückbeschwören!" Sie fuhr zusammen. „Was rede ich!" rief sie plötzlich mit ersticktem Schrei die Häirde vor das Antlitz drückend. ^WaS wir zur WohltÄ werden sollte, vermehrte nur mein Leid. Aus jeder Blume, die uns geblüht, ans jedem Blatt, daS uns umrauscht, so- ich ein schmerzlich-süßes Gift — und sterbe daran, wenn du —"
Hätte Freiberg eine Waffe bei sich geführt, er würde seinem verfehlten Dasein zu Gaetanninas Füßen ein Ende gemacht haben. Wie groß aber auch seine Verzweiflung sein mochte, seine Sorge um die Marchesa war größer. Er
richtete sich hastig auf. „Um Gottes willen, fassen Sie sich, man kommt. Mein Herz soll offen vor Ihnen liegen — wir leiden Beide!"
„Sie werden besser gewählt haben, das soll mich trösten," sagte sie, und über die soeben noch lebensrvarmen Züge glitt jene kalte, bleiche Maske, welche jeden Verdacht im Keime erstickte.
Eine heiter plaudernde Gesellschaft unter dem Vortritt der Legativnsrätin eilte die Stufen hinab, das Bijou des Hauses in Augenschein zu nehmen. Man war freilich erstaunt, die unnahbare Florentinerin an der Sette ihres stummen Tischnachbars wiederzufinöen, aber die meisten hielten dies für eine bizarre Laune der Marchesa nnd gingen gleichgültig darüber hinweg.
Herr von Exleben jedoch, obwohl in angenehmster Stimmung, empfand auch jetzt gegen Freiberg dieselbe kleine Feindseligkeit, deren er sich seit jenem Zusammentreffen bei Garda Menari niemals erwehren konnte. „Verehrter Herr Graf, ich komme, mir bei Zeiten schon Ihre liebenswürdige Genehmigung zu erbitten"
„Wozu?" fragte Freiverg kurz.
Der Zufall hatte gerade in diesem Moment einen Kreis von Lauschenden um Gaetanninas Sitz gezogen; ihr gegenüber stand der Prinz, aufmerksam jede Bewegung dieser eigenartig schönen Züge verfolgend.
»Ich beabsichtige, in kurzer Frist eine Soiree bei mir zu veranstalten, und hoffe, daß Sie mir die Freude nicht versagen werden, Ihrer liebenswürdigen Braut bei dieser Gelegenheit einen Lorbeerkranz zu Füßen zu legen."
Ohne aufzuschauen, empfand jFreiberg das verhaßte Lächeln, welches in diesem Augenblick die Lippen aller Hörer umspielte. Ihm war zu Mut, als begänne die Luft vor seinen Augen zu flimmern, Angst und Scham Gaetannina gegenüber und Haß gegen den unberufenen Verkünder seines schweren Geständnisses machten ihn fast fassungslos, „Ich verstehe Sie nicht ganz, Herr Präsident!" sagte er hochsaHrend, aber er wagte eS nicht, Gaetannina dabei anzusehen, obwohl jede Fiber in ihm nach einem verzeihenden Blick rang.
„Aber daS ist doch so leicht zu verstehen, Graf Freiberg," lächelte Natalie Melnikoff, mit ihrem Brillantbracelet spielend. »Fräulein Menari soll uns durch ihren schönen Gesang erfreuen, bevor der Ball beginnt, es wird n«S allen ein hoher Genuß fein!"
Die Marchesa sah verständnislos in das feine, geistreiche Antlitz deS Präsidenten.
Zuvorkommend trat er t» ihre Nähe. „Ah, Marchesa, Sie wissen noch nicht, daß Graf Freiberg einen zweiten LsttS. ÖS£ ProlerMg 1v iZSLve gesetzt hg.U M MsüLtt..
uns grausam den Stern der Saison, eine Koryphäe im edelsten Sinne des Wortes: Garda Merani!"
„Eine Primadonna — der Bühne?" fragte Gaetannina, sich mit ihrer schroffsten Haltung erhebend, denn alles Blut drängte bei den Worten des Präsidenten zn ihrem Herzen zurück. „Eine Primadonna? Ist es so, Herr Gras?"
Er verbeugte sich stumm und, wie es für die Gesellschaft den Anschein hatte, verstimmt durch die mißächtliche Betonung dieser Worte.
Der brennende Druck auf Gaetanninas Herzen wich einem eisigen Frösteln, welches ihren zarten Körper durchschauerte, aber sie konnte lächeln, lächeln, obwohl alle Qualen enttäuschter Liebe und verletzten Stolzes ihren Busen durchwühlten. Mit vernichtender Ruhe blickte sie dem Grafen in die finsterleuchtenden Augen, schritt gemessen an ihm vorüber und sagte leise: „Meinen verspäteten Glückwunsch zu Ihrer Wahl!" —
j Zwanzigstes Kapitel.
Der junge Morgen nach diesem Gesellschastsabend dämmerte herauf, als Botho Freiberg vom Schreibtisch aufsprang und wie ein Trunkener durch die Stube schwankte. Sein ganzes Denken und Fühlen kämpfte den entscheidenden Kampf zwischen Wollen nnd Können mit elementarer Gewalt. Da sank jede Selbsttäuschung, jede laue Halbheit zersplittert zu Boden.
Der Graf preßte seine Hand mit schmerzhaftem Druck gegen die Stirn. Wo waren sie denn geblieben jene heißen Wonneschauer, die ihn seiner ersten Liebe abtrünnig gemacht? Jenes ritterliche Drängen, die entflohcue Gattin durch seine Liebe für ihren Treuvruch zn entschädigen? Fort, zerstoben, alles romantischen Schimmers beraubt! Mitleid, Schuldbewußtsein, Sinnesglut und endlich Pflichtgefühl hießen die Motive, die ihn zu Irmas Füßen getrieben.
Was ihm damals so zweifellos erschien, sein Eingreifen in einen fremden Ehebunö „liefe die alles zersetzende Erkenntnis dieser Nacht ihn als willkürlich und verbrecherisch erkennen. Und wie das Fundament in sich zusammensank, stürzten alle Folgerungen mir zu Boden. Irmengard jetzt anfgeben, hieß der letzte Frevel, dessen er, sich noch schuldig machen konnte.
Er stöhnte ans in Seelengnal. Sv nahe dem Ziel seiner ersten reinen Wünsche und für immer verbannt! Hatte Gaetannina nicht Jahre hindurch in einsamer Zelle beweint, was er ihr in seligen Stunden unauslöschlich tief in's Herz geflößt, so tief, daß sie es nur mit ihrem Leben au^reißen konnte und daran verbluten mußte? Auch jetzt MtÄS üs lklmtw Wen. LFortlctznna IMfit.l