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Krank Wedekind: Frühlings Erwachen
Frank Wedekind, geboren in Hannover am 24. Juli 1864, gestorben zu München am 9. März 1918.
An der Schwelle des neuen Lenzes ist der Dichter der bittersüßen Tragödie ,,Frühlings Erwachen" in diesem Jahre gestorben; zu früh für alle, die ihn gekannt haben, und wohl auch für jene, die ihn noch nicht kennen gelernt hatten aus seinem Werk, das nun, seit einem Jahrzehnt etwa, von wachsendem Erfolg getragen, auch weitere Kreise zu interessieren und zu beglücken angefangen. Durch unendliche Kämpfe, viele Verwandlungen und Masken mußte Wedekind hindurch, bis um ihn her und über seine dichterische Sendung Klarheit wurde. Er begann, nach allerlei typischen und jugendlichen Irrwegen höchst grotesk im Züricher Kontor einer Nahrungsmittelgesellschaft. Aber sehr bald ist dann in ihm die Berufung zu einer höheren Propaganda Gewißheit geworden. Die Posse „Der Schnellmaler“ 11889) war ein erster Versuch auf einem anderen Gebiete, auf welchem dem Dichter zehn Jahre später mit dem glänzenden Schwank „Der Liebestrank“ ein vollkommenes Exemplar der Gattung gelang. 1891 fand ^Vedekind, umweht und angeregt von der hellen freien Luft, die auch Gottfried Keller umspielte, einen ^Veg aus'der Enge ins Weitere mit der Szenenreihe von „Frühlings Erwachen“.
Mit jenem niemals alternden Drama, das wir heute bringen, damit dieses ganz aus der Reinheit empfangene Werk für seinen Dichter zeuge und neue Freunde weroe. Wedekind hat eigentlich nichts anderes geschrieben. Immer wieder war es der Kampf um den Frühling in der Seele des Menschen, den es ihn zu gestalten, zu schützen antrieb. Dieses Melos, das hier von Kinderstimmen erklang, kehrte in den späteren Dramen in immer neuen Modifizierungen wieder; verzerrt zu Mephistophelischem Gelächter, dann wieder gesteigert zum religiösen Pathot. Im Grunde war Wedekind ein höchst gewissenhafter Ethiker; was ihn zum Dichter machte, war die Unmöglichkeit, sich auf eine andere "Weise der niederziehenden Unmoral dieser häßlichsten, widersinnigsten der ^Velten entgegen zu stemmen. Die großen Daten in Wcdekinds Leben sind seine Dramen; „Erdgeist“ (1895), eine Dichtung, die 1903 erweitert durch das Drama „Die Büchse der Pandora“ kraft der
dichterischen Totalität der erotischen Problemerfassung, wie durch die geniale Erfindung der schuldig-unschuldigen „Lulu“-Figur sich zu einer Welttragödie von bleibender Bedeutung gestaltet hat. Das Schauspiel „Der Marquis von Keith“ mit dem prächtigen, satirischen Münchner Milieu „Hidalla“ (1904), eine Komödie, die das Problem der
Züchtung von Rassemenschen behandelt; das Schauspiel „So ist das Leben“ (f907), ein ergreifendes Königsschicksal mit starkem autobiographischem Einschlag, sind die Hauptwerke des Dramatikers Wedekind. Seine Erzählungen hat der Dichter in dem schonen Band „Feuerwerk“ (1905) vereinigt: seine Lyrik, darunter die zuerst berühmt gewordenen Brettl-Lieder in der Auswahl „Die vier Jahreszeiten“ (1915); sein ganzes Opus in den „Gesammelten Werken“ die 1914, im Jahre seines feierlich begangenen 50 Geburtstages, in München erschienen. Hier findet man eine Fülle des Entdeckenswerten von dem frühen Schauspiel „Die junge ^Velt“ (1897) und dem lustigen „Kammersänger“ (1900) bis zu den Werken der Spätzeit; dem kühnen „V/etterstein-Drama“ (1910) und der Tragödie „Simtfon“ die aus einer biblischen Legende zum Bekenntnisdrama großen Stils hinaufwächst. Der letzte Stoff den der Dichter formte war die klassische Heraklesfabel, und in ihr hat er den Mann zum tragenden Symbol der ^Velt eingesetzt. Der Schlußchor verklingt heute wie eine Hymne auf den dahingegangenen Dichter. Heil sei dem Kämpfer. Ihn krönt Unsterblichkeit, ihn preist der jugendflammende Mund. Sterbende Kräfte, rasch seid ihr hingerafft. Wer euch erhöhte, sei unser Held. W^edekind selbst war der unermüdbare Kämpfer für die Befreiung des Individuums ; er wollte die Lebensfreude wieder erhöhen in ihrem sittlichen Adel und die Schönheit des menschlichen Körpers zu neuer Geltung bringen. Dafür hat er das Martyrium eines verlästerten Zynikers auf sich nehmen müssen, aber sein Pathos und sein Ethos haben zuletzt den Sieg über die Spötter behalten. Wer unbefangen „Frühlngs Erwachen“ liest, wird erkennen, wie das früheste naturalistische Erlebnis dieser Dichtung, wie das Stoffliche hier überstrahlt wird von der dichterischen Sehnsucht, der menschlichen Kreatur ihren Anspruch auf Glückseligkeit zu wahren und der Jugend das Mysterium von Gott und Welt zu verkünden.
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