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Le-e Woche ein Werk ^
Die besten Romane und Novellen aller Zeiten und Völker
20 Pfennig die Nummer * Vierteljährlich Mk. 2.50
Julius Alex. Schindler:
Novellen
A. J. Schindler, geboren m Wien am 26. September 1818 und dort gestorben den 16. Mai 1885.
Der freisinnige, österreichische Volksmann und Schriftsteller, den wir heute vorstellen, kam als Sohn eines- Kaufmanns, der in Wohlstand lebte, im vormärzlichen ^Vien zur ^Velt. Nach einer glücklichen Jugend studierte Alexander Julius Schindler zu Wien anfänglich Philosophie und dann am polytechnischen Institut seiner Vaterstadt, an einer der frühesten Anstalten dieser Art, Mathematik, Mechanik und Chemie. Nach einem zweijährigen Praktikum in der väterlichen Fabrik, ging er als Chemiker in eine eben gegründete Kattunfabrik zu Steyr. In diesem Wirkungskreis fand er indes so wenig Befriedigung, daß er ein völlig neues Studium begann und sich der Juristerei zuwandte. Nach etlichen Jahren praktizierte Schindler nun am Magistrat zu Steyr, späterhin bei der kaiserlichen Saline in Gmunden.
Eine sehr wichtige Lebensbeziehung eröffnete sich für Schindler durch die Bekanntschaft mit dem Fürsten Lamberg, der damals noch in vormärzlicher Selbstherrlichkeit auf seinem Schlosse Steyr residierte. 1846 trat Schindler als Justiziar am fürstlichen Patri- monialgcricht in die Dienste seines Freundes, dessen politischer Gesinnung er auch nahe stand. Lamberg war der Führer einer oppositionellen Gruppe von Standesherren in deren Sinn und Interesse Schindler 1848 „Beiträge zum Verständnis der ständischen Bewegung in Oesterreich“ schrieb. In der Folge blieb er indes keineswegs in den Standesvorurteilen der lediglich auf ihre Privilegien bedachten Gesinnungsgenossen Lambergs befangen. Sein Herz und sein ganzes rhethorisches Interesse wandte sich dem dritten Stande zu. Und wie das Sturmjahr 1848 dann nebst anderen Dingen die Patrimonialgerichte hinweggefegt hatte, ward Schindler 1850 Staatsanwaltsstellvertreter in Leoben und später Staatsanwalt zu Graz. Doch mul?te | der freisinnige Mann 1854 der wieder einsetzenden Reaktion weichen; seine politischen Gegner wußten ihn auch von der nun angestrebten Stellung eines Notars oder Advokaten fernzuhalten. In dieser etwas erzwungenen Muße wandte Schindler sich nach Salzburg und lebte dort ein paar Jahre seiner Schriftstellerei.
1856 finden wir ihn als Domänenverwalter beim Grafen Henckel von Donnersmark zu Wolfsberg in Kärnten; dann in einer weiteren Uebergangsstellung als Generalbevollmächtigten und Rechtsanwalt für die Domänen und Bergwerke der ungarischen Staatsbahngesellschaft.
Inzwischen hatten sich die politischen Verhältnisse wieder geändert, und im konstitutionellen Österreich gelangte Schindler 1861 als Vertreter des Wiener Bezirks Neubau in den niederösterreichischen Landtag. Dann wurde er als Vertreter der Stadt ^^ien in den Reichsrat gewählt, dem er bis 1870 angehörte. Wir begegnen dem begabten Redner auch hier im Lager der Opposition wider Rückschritt und Volksverdummung. Besonders bekannt wurde er durch eine kräftige Satire gegen den Ultramontanismus.' Zu Wien erlangte Schindler 1862 das ihm ehedem verweigerte Notariat, das er lange Jahre verwaltete. Nach 1870, in welchem Jahre er durch allerlei Partei-Rabalen während einer Auslandsreise sein Landtagsmandat verloren hatte, widmete Schindler sich ganz den schriftstellerischen Projekten. Den Sommer verbrachte er zu Leopoldskron im Salzburgischen, den ^Vinter in seinem geliebten ^Vien.
Schindlers unmittelbare, ehrliche Art kommt in seiner dichterischen Produktion, die er unter dem Schriftstellernamen Julius von der Traun veröffentlichte, zu einem ungemein sympathischen Ausdruck. Künstlerischen Wert besitzen seine, mit epischer Gelassenheit vorgetragenen Erzählungen. „Die Geschichte vom Scharfrichter Rosenfeld und seinem Paten“ (1852), „Der Schelm von Bergen“ (1879) und die Geschichten die wir heute bieten, bedeuten die Blüte seines Schaffens. Weniger zwingend gerieten Schindlers dramatische Versuche das Trauerspiel „Eines Bürgers Recht“ (1849)*. und das Volksdrama „Theo- phrastus Paracelsus“ (1858). Aber auch hier wie in seinen zahlreichen Gedichten und Reisebüchern findet man allenthalben einen volkstümlich empfindenden Menschen, einen Mann des werktätigen Lebens, der niemals nur Literat sein will und doch ein feines Verständnis für das Formale in der Kunst bekundet.
R. E.
Die Geschichte vom Scharfrichter Rosenfeld und seinem Paten
E r st e s Kapitel
Im Spätfahre 1402 kam ein junges, ärmlich gekleidetes Weib nnt einem schweren Korb voll Gemüse auf den Platz vor der St. Katharinenkirche zu Hamburg. Dort setzte es den Korb vor sich auf den Boden, ließ sich selbst an der Kirchenmauer nieder und hüllte sich fröstelnd in ein altes Regentuch. Der Wind blies auch recht kalt von der Nordelbe durch den Binnenhafen herein, und obendrein war das Weib hochschwanger. Auf den kalten Boden gekauert, keuchte es noch lange vor Erschöpfung, seine Nasenflügel flogen, und die Muskeln des abgehärmten Gesichts zuckten krampfhaft durcheinander. Daboi lieg es das große, schöne Auge unruhig über den Platz hinstreifen/ Das arme
Weib war sehr hungrig und wäre seine Zwiebeln recht gerne für Geld losgeworden, um sich Brot und warme Suppe kaufen zu können, aber ach — der sonst so lebhafte Platz blieb heute leer, und weder aus der Katharinenftraße noch von den Möhren her wollte eine der sonst so häufigen Einkäuferinnen nmt dem nett-verhüllten Körbchen sich nahen. Da wurde das Gesicht des hungrigen Weibes immer trüber, endlich fing irie Aermste bitterlich zu weinen an.
„Mein lieber Himmel," rief mitleidig eine alte krumme Hökerin aus, die mit ihrer Ware nebenan saß; „Frau Nachbarin, was fehlt Euch? habt Ihr Leibschmerzen?"
„Nein, gute Frau," sagte die Angeredete, „kch habe keine Schmerzen — ich weine aus lauter Herzeleid."
„Was tut doch Eurem Herzen gar so wehe?" fragte die mitleidige Alte.
„Wenn ich es Euch schon sagen muß," fuhr die Weinende, die sich ihres Hungers schämte, heraus, „so wißt — ich sorge mich seit Tagen, wer
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bringen werde, zur Taufe hält."
„Na, das sind mir einmal unnötige Tränen," versetzte die alte Hökerin; „wer wird denn einer ehrlichen Frau nicht gern ihr eheliches Kmd zur Tauf halten?"
Boi diesen Worten überflog eine hohe Röte das Anlitz der Schwangeren, und sie biß sich so heftig in die Lippen, daß diese ganz bleich wurden.
„Seid nicht so kindisch,", nahm die Alte wieder das Wort;, „ich will selbst Eures Kindes Patin sein, wenn Ihr nicht so weit von hier wohnt, daß mein krummer Fuß Eure Wohnung nichl erreichen kann."
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»Ach, ich wohne gar in Sülldorf," antwortete das junge Weib.
„Ja, das ist freilich weit," sprach die gutmütige Alte, „aber ich will in der Sache mit meiner Base, der Kornmesserin auf dem Resendamme, sprechen, die schlägt diesen Liebesdienst einer ehrlichen Frau nie ab."
