Weltliteratur

Schriftleitung: Dr. HELLMUTH LANGENBUCHER

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Romane, Erzählungen und Ge­richte aller Zelten und Völker

Monatlich ein Heit n Bezugeprele durch die Polt DlerCelfShrllch 90Rpl. und »Kpl. Bekellgelv. Im Buch- und Zeltlchrlften- handel »0 kpl. * Xreuzbanvoerlanv olertelfahrllch 15 kpl. % Herausgeber: Franz Lubrolg Habbel n Wlhlng Verlag GmbH., Berlin W 9, EIchhomltraBe 10

Nr. 4 Berlin Januar 1936 30 Kpl.

Emil Strauß: LIEBE * VORSPIEL

LIEßE

fir sprachen von dem, was man gemeinhin Liebe" nennt. Von ihrem Wert und ihrer Nichtigkeit, von ihrer Schicksals­macht und Spielerei, von den Masken, unter denen dieser Trieb uns aus der Strenge unserer Grundsätze oder aner­zogenen Vorurteile herauölockt und prüft, uns vor unferm eigenen Blick entkleidet und vereinzelt,uns mit jäher Wendung in die Bahn eigener Kraft, eigenen Verhängnisses hinschiebt. Wir hatten Erinnerungen geweckt und ausgetauscht, andeutend, ausweichend, der Erfahrung des Hörers das Letzte überlassend. Unerfreuliches, Niederdrückendes, wie ja meist nur derartiges bekannt wird.

Da siel mir auf, daß Werner nicht mehr mitfprach, daß er zurück­gehobenen Kopfes unter den gefenkten Lidern hervor nach einem fernen Punkt des Bodens starrte und versonnen lächelte.

Als wir nach und nach verstummten und ernst schwiegen, er aber in seinem Banne verharrte, da legte ich die Hand auf feinen Arm, fast wie auf eine Stütze, und sagte:

Werner dich freut etwas. Wir hätten fo etwas nötig. Kannst du es uns nicht erzählen?"

Warum nicht?" erwiderte er, feine Augen doch nur mit Mühe von dem fernen Punkte lösend und ernst und schwer mir zuwendend. Ich will es euch schon erzählen."

Sein Kopf senkte sich, sein Blick, wieder heiter und hingegeben, ging zu Boden, gerade als horchte er auf etwas. Dann schaute er uns einen nach dem andern an, strich mit dem Daumen und Zeigefinger mehrmals zugleich über beide Augen und sprach:

Auf Unterprima war ich bei einer kleinen Familie in Kost und Wohnung. Es waren brave Leute, die richtig für mich sorgten, und es war eine nette Bude : ihr erinnert euch wohl noch. Indessen war es doch nicht mehr die eigene Familie, ich fand mich oft auf mich allein angewiesen, und da ich mir die Schularbeit möglichst leicht machte, so hatte ich viel freie Zeit, Muße und llnmuße. Ich ver­kehrte mit den Kameraden und war bei allem dabei; trieb mich aber auch viel allein herum, denn die größere Stadt war mir neu und aufregend. Verdorben war ich nicht, eher obfchon in der

Natur und der natürlichen Derbheit der Verhältnisse groß geworden noch recht unwissend und unschuldig. Einsamer und hilfloser in seinen Gedanken kann ein Kind ja kaum aufwachsen als in einer frommen Familie, wo der Kampf mit dem Bösen selbstverständlich und in keiner Form gescheut, jedes Wort darüber aber schamhaft vermieden wird. Indessen waren es nun die Jahre, wo uns Un­wissenheit und Unschuld in Sachen des Lebens und Geschlechtes lästig und peinlich und lächerlich werden, wo wir zusammenhocken und uns gegenseitig unsere Weisheit auskramen und einander tüchtig belügen. Ohne angeborenen und auch noch ohne gelernten Zynismus verhielt ich mich bei solchen Gelegenheiten mehr hörend als forschend, zum Teil, weil ich Mich schämte, unerfahren zu sein, zum Teil, weil ich das mich durchschauernde Geheimnis fürchtete. Ich zog, was ich verstand, gierig in meine auftreibende, vergrößernde Gärung hinein: was ich aber nicht verstand, das erklärte ich mir in meiner Scheu, meinem Vorwitz, meiner Sündenangst und Sündenlust mit unerbittlichen Deutungen und gewaltsamen Phantasiebildern. Ab und zu halfen mir Bücher; aber ich hatte wenig Anregung und Gelegenheit zu lesen, und an schlechte Lektüre geriet ich zufällig nicht, doch darf ich vielleicht nicht von Zufall sprechen, denn der Kolb zeigte mir einmal die ,Memoiren einer Schauspielerin^ oder wie es hieß, und ich habe das Buch nur darum nicht gelesen, weil ich zu katzendreckig war, den fettigen, abstoßend zerlesenen Band in die Hand und mit mir zu nehmen.

Es war also noch keineswegs der unbändige Trieb, der uns gelegentlich zu Narren macht dieser Trieb schlummerte bei mir noch, es war Neugier, Wißbegier, Lebensungeduld, Abenteuer­sucht, Ansteckung, Sentimentalität. Meinem wachen Trieb ent­sprach damals ein raschentflammtes Schwärmen für irgendein schönes Mädchen aus der Nachbarschaft ob Dienstmädchen oder Töchterschule oder für eine Dame, die ich auf der Straße sah, aus der Entfernung begleitete, bewunderte, anbetete, ganz seraphisch. Diese Geschöpfe waren unberührbar, geheimnisvoll, durchsichtig, selig, und darum so, auch in Wehmut, so beseligend. Das war eine ganz andere Welt.

Was beunruhigte, lockte und abstieß, das war die Sünderin, die Gefallene, die Dirne. Unbegreifliche Wesen! Daß ihr Ver­halten und Leben das Verhängnis eines Charakters fei, konnte ich in meiner Unreife und Unerfahrenheit nicht denken; ich schrieb alles einem leichtfertigen und irregeleiteten Willen zu, einer jedenfalls zu wendenden bösen Lust, und wenn mir eine leichtsinnige Frau, in ihrem Parterrefenster liegend und ausschauend, gezeigt wurde.

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