Vorräten. Wir arbeiten eigentlich nur mit der halben Belegschaft. Um Gottes willen, da müssen wir eben auch auf den Pfennig treten."
Scheithauer hatte sich vom Schreiber zum Direktor heraufgedient und rasselte noch nicht leutnantsmäßig mit der Zunge, wie es jetzt allgemein preußische Unsitte geworden ist, uin die Autorität zu wahren, sondern er ging gütig und freundlich nüt allen um.
Der gute, brave Mann hatte eine Pause eintreten lassen und wartete auf Antwort.
„Wissen Sie, Herr Direktor, ich bin acht Jahre bei der Verwaltung und glaubte deswegen einen Anspruch zu haben," sagte Förster mit vibrierender Stimme.
„Wenn's auf mich und auf Sie allein ankäme, gewiß. Aber wenn wir Sie erhöhen, kommt Schirsager hinterher, Mayer dito, und eh wir zum Atemholen kommen, müssen wir die ganze Bcamten- garnitur aufbessern."
„Ich meine nicht aufbessern, Herr Direktor . . ."
„Weiß schon. Sie beanspruchen nur das Ihrem Dienstalter entsprechende Gehalt."
Förster wurde blaß und nickte nur.
Scheithauer erhob sich eilig und lief mit großen Schritten einigemal an dem langen Tisch hin und her.
„Es sind ja nur zwanzig Mark pro Monat mehr, Herr Direktor. .. und die würden, denk ich, vorläusig ausreichen," sagte Förster bittend.
Scheithauer unterbrach mit einem Ruck seine Wanderung und kehrte, einen verschmitzten Pfiff ausstoßend, an den Schreibtisch zurück.
„Haha ... so, also, hmhm, so meinen Sie? Ach nun versteh ich! Sie wollen heiraten."
„Nun ja, Herr Direktor, man ist dreißig Jahr'. Wissen Sie, ich Hab Vater und Mutter früh verloren, man kriegt das Gasthausleben satt und, na, mit einem Wort, 's ist ja keine Schande, man sehnt sich nach einem eigenen Heim."
Es entstand eine lange Pause. Der Direktor zog die Stirn sinnend herauf und sah zum Fenster hinaus, an dem dicker, weißer Dampf vorüberquoll, den der Wind von der Kokerei herübergetrieben. Die Maschinen schnoben keuchend wie schwer beladene Pferde, die einen Berg hinaufgepeitscht werden.
„Ja, mein lieber Förster," mit diesen Worten kam Scheithauer aus seinem verlorenen Sinnen wieder zu sich, „da ist nicht viel zu machen."
„Vier Jahre bezieh ich schon hundertzehn monatlich," sagte Förster schnell und ängstlich, um einem ablehnenden Bescheide zuvorzukommen.
„Na. . . muß es denn sein?" fragte der Direktor und kniff verschmitzt ein Auge ein.
„Wie meinen, Herr Direktor?"
„Ach . . . haha! . . . Ich meine, ob Sie gezwungen .. . Sie wissen ja, wir sind allzumal Sünder."
„Durchaus nicht, wo denken Sie hin?"
„Also, mein Lieber, wenn Sie kein Bein gebrochen haben — jetzt rede ich als Ihr älterer Freund, nicht als Vorgesetzter — dann würde ich Ihnen den Rat geben, mit der Gründung einer Fanülie noch zu warten. Zulagen kann es nicht geben. Ausgeschlossen, ganz ausgeschlossen ! Na, und was haben Sie da mehr? Von Liebe wird man nicht satt, und jetzt kommen Sie bequeni mit dem Gehalt aus."
„Bequem . . .?"
„Na, ja, Sprünge kann halt keiner machen, mein Lieber, ich auch nicht."
Paul Förster sah jetzt auch zum Fenster hinaus auf den plumpen Holzturm der Kühlanlage. Es würgte ihn im Halse, der braun karbolinierte Turm schwankte im Nebel. Einen Augenblick kochte der Zorn in ihm auf: „Versiucht, behaltet euch das Geld, es wird auch so gehen."
Er kam aber nicht weiter.
Direktor Scheithauer sah den Ausdruck verbissener Energie auf dem Gesicht seines Büroaffistenten und sagte:
„Natürlich will ich Sie nicht hindern zu heiraten, im Gegenteil, der König braucht Soldaten. Freilich. Ich will Ihnen sogar behilflich sein. Sie bekommen eine größere Dienstwohnung, ein Fleck Garten wird sich auch noch finden, die Deputatkohle wird erhöht. Also, warum sollte es nicht gehen?"
Der Assistent Förster stand mit blassem, verzweifeltem Gesicht kerzengerade und bemühte sich, freundlich-tapfer zu lächeln.
Er hätte gern noch einen letzten Versuch gemacht, den Direktor wenigstens zu einer Zulage von zehn Mark monatlich zu bewegen, aber es war ihm unmöglich, ein Wort hervorzubringen. Denn dann wäre er sackgrob geworden und — lag am nächsten „Ersten" draußen auf der Straße.
„Nun überdenken Sie sich alles noch mal, lieber Förster, und lassen Sie mich in vierzehn Tagen Ihren Entschluß wissen, damit das Nötige veranlaßt werden kann," sagte der Direktor niit verbindlicher Stimme.
Der Angeredete machte vor Erregung eine ungeschickte Verbeugung, murmelte mit devoter Stimme irgendeine sinnlose Floskel und trat mit einem heimlichen Fluch der Wut über die Schwelle auf den schmutzigen, dämmrigen Flur.
Einmal hatte Paul Förster in seiner Kindheit, als Knabe von zwölf oder dreizehn Jahren, genau wußte er das nicht, voni Vefperkische aus, an dem er mit Vater und Mutter zusammensaß, durch das Fenster hinaus einen nicht allzu entfernten Bergabhang gesehen. Die letzten Häuschen, die kleine Kirche und darüber der schmale, dunkle Strich Wald, alles lag in einem weißen, stillen Lichte, in einer solch seligen Unwirklichkeit, daß er davon in seiner Seele so glücklich erschüttert worden war, wie seither von nichts in seinem Leben. Dieses Bild hing unverwistht in dem Schatzstüblein seiner Erinnerung und war allgemach in den Jahren zum Wertmesser aller angenehmen Schickungen geworden, die ihm widerfuhren. Und wenn ein Schönes, das ihm in den Weg trat, von einem Licht erfüllt war, daß vor ihm die Helle jener frühen Kindheitserleuchtung verblaßte, so wollte er das für das höchste Glück seines Lebens halten, sich in Freuden bescheiden und mit nichts mehr dawider denken. Das hatte er sich vorgenommen und hatte gewartet alle die Zeit vom frühen Tode feiner Eltern, durch alle gedrückte Einsamkeit einer armen Waise, über die kümmerlichen Lehrjahre als Schreiber, bis er endlich so weit war, selber ein Protokoll aufnehmen zu können und seinen eigenen Tisch im Büro zu besitzen, an dem er allein Herr war.
Aber immer, wenn etwas in der Erwartung das Schimmerbild seiner Seele überstrahlt hatte, daß er glaubte, sei das erreicht, so wolle er sich zufrieden geben, immer wenn so etwas ihn über alle Dächer des Höffens weggetragen hatte, hustete ihm die Enttäuschung allen Glanz aus den Augen. Denn sobald sich sein Sehnen erfüllt hatte, verblaßte eg, und das Licht jenes Erinnerungsbildes war nicht, wie er wohl geglaubt hatte, von der Wirklichkeit auf seiner Erde heimisch gemacht worden, sondern leuchtete verlockender und ferner wie je.
Während Förster den langen Korridor des Grubenverwaltungs- gebäudcs hinschritt und die kurze, steinerne Treppe zum unteren Flur langsam überwand, überlegte er dag alles und kam zur Überzeugung, wenn er jetzt die Heirat nicht wahr mache, werde er vergeblich sein ganzes Leben warten müssen, und am Ende habe er nichts von dem Dasein gehabt als dieses Trauinbild seiner Seele.
Um nicht die Spottlust und Schadenfreude der andern Schreiber zu erregen, trat er ruhig in sein Büro, legte die Ärmelschoner aus schwarzem Kittei an und fuhr in der Reinschrift der Verhandlung über einen Grubenbruch in Erlicht fort, Grundstück -sgb, Grundbuchblatt 256, Band III.
Den Abend verbrachte er zu Hause und füllte ihn, nur noch leidenschaftlicher als sonst, wieder mit Überlegungen und Untersuchungen, wie trotz des Schciterns seiner Hoffnung auf Gehaltserhöhung die
194