An die tvähler.
vn.
ABenu man Einem eine Geschichte recht oft erzählt, so glaubt er sie am Ende, ohne darnach zu fragen, ob sie wahr ist und ob man fie beweisen kann. Das ist eine alte Erfahrung. Eben so, lieben Landsleute, geht eS mit der aufgelösten Nationalversammlung. Don allen Seiten wird in den Zeitungen, in denen sich die RückschrittS- männer jetzt wieder breit machen dürfen, gerufen: „die Nationalversammlung hat nichts getaugt, wir haben uns bei den Wahlen geirrt und dieser Jrr- thum hätte beinahe das ganze Land ins Unglück gestürzt. Seid daher diesmal vorsichtiger und wählet andere Leute!" Soll so viel heißen als, wählet keine freisinnigen Leute, sondern nur hohe Beamte, reiche Gutsbesitzer und Würdenträger im Heere Md in der Kirche. Vernünftige Menschen glauben aber nicht eher, als bis sie selbst geprüft und sich nach Beweisen umgesehen haben. Prüfet Alle- und behaltet da- Beste, heißt eS in der Bibel. Wie steht eS nun aber mit dem Beweise für jene Behauptung, daß die von uns im Mai gewählten Vertreter so gar unfähig gewesen wären und daß sie keine ordentlichen, dem Lande zuträglichen Gesetze hätten zu Stande bringen können? Ist dietricht eine böswillige Verleumdung, mit der man Euch verlocken will? und ist eS nicht ein grober Undank gegen viele braven Männer, die in einer schweren Zeit mit Muth und mit Ausdauer für ihre Ueberzeugung und unser Wohl mit all' ihrer Kraft gekämpft?
Allerdings haben wir unS im Mai in manchem Manne getäuscht und schönen Versprechungen geglaubt, welche die That nachher Lügen gestraft. Das war auch ganz natürlich: denn
bei dem Drucke, unter dem wir bis zum März gelebt hatten, konnten wir die rechten Leute noch nicht überall kennen und mußten Manchem aufs Wort glauben. Da waren auch einige darunter, die mit schönen Redensarten von Freifinnigkeit und Volkswohl sich nur Gelegenheit verschaffen wollten, Aemter und Ehrenstellen zu erjagen und noch häufiger die ihrigen zu erhalten, — denn damals waren sie Alle mit einem Male freisinnig geworden! Gar viele gescheute Leute mögen cnd, lich bei der Wahl übergangen sein, denn man kann nicht alle Tüchtigen wählen; — wir spielten so zu sagm blinde Kuh! Aber dennoch haben wir im Allgemeinen einen guten Treffer gehabt und die meisten unserer Abgeordneten haben redlichen Willen, angestrengten Fleiß und tüchtige Sachkenntnis bewiesen. Sie haben außer den unzähligen Bittschriften, die aus allen Landeötheilen ihnen zuströmtcn und außer den vielen dringenden Geschäften, welche dle verwickelten Ereignisse, so wie die Umgestaltung der StaatSeinrichtungen herbeiführten, mehrere wichtige Gesetze beschlossen, die Vorarbeiten zu fast 40 Gesetzen beendigt, sich mit der Ordnung der Geld- und Steucwerhälr« nisse beschäftigt und die Verfassung bis zur Be- schlußnahme berathcn, so daß sie jetzt schon fast fertig wären, wenn man sie nicht gestört hätte. Und waren diese Dorberathungen über die Verfassung so schlecht, daß man sie etwa nicht hätte brauche» können? Nicht -och! Seht nur, in der oktroyirten Verfassung, die der König jetzt gegeben und die man Euch als so sehr freisinnig anprels't, ist grade das Beste, das Freisinnigste aus den Vorbera-